Der Feind
zugemacht. Neben ihren beruflichen Pflichten hatte sie sich auch um ihren Sohn zu kümmern und ihm zu helfen, den Schock zu überwinden. Zum Glück hatte Steven Rapp begriffen, dass sie jetzt einiges zu tun hatte und dass Tommy jemanden brauchte, der ihm das Gefühl gab, dass alles in Ordnung war. Während sie also damit beschäftigt war, den Vorfall zu analysieren, wurden Steven und Tommy von einem Sicherheitsteam in ihr Haus gebracht. Das Schwierigste an der Sache war, Tommy beizubringen, dass Vince Delgado und Mike Burton getötet worden waren.
Sie war kurz vor zehn Uhr vormittags in ihrem Haus angekommen. Tommy wachte auf, kam ihr entgegen und fragte als Erstes, was mit Vince und Mike war. Sie gehörten seit über einem Jahr ihrem persönlichen Sicherheitsteam an, und Irene wusste, dass Tommy die beiden sehr mochte, ganz besonders Vince. Sie würde den Angehörigen der beiden die traurige Nachricht persönlich übermitteln, doch das würde warten müssen, bis sie ein paar Dinge geregelt hatte.
Ross war ihre Hauptsorge. Sie hatte in den vergangenen vierzehn Stunden einiges getan, was ihm nicht gefallen würde, doch er war nun einmal kein Mensch, der die langfristigen Erfordernisse der CIA wirklich im Auge hatte. Sie hatte es so eingerichtet, dass sie im »Aspen Lodge« in Camp David ankam, kurz bevor sie vom Golfspiel zurückkehrten. So hatte sie noch ein wenig darüber nachdenken können, wie sie mit Mark Ross umgehen sollte. In diesen ersten ruhigen Minuten seit Langem kam ihr schließlich die Lösung. Sie war selbst ein wenig überrascht, dass sie nicht schon früher daran gedacht hatte – doch es war normalerweise nicht ihre Art, ihre Vorgesetzten mit taktischen Manövern auszutricksen.
Ross hatte nicht die Absicht, auf den Präsidenten zu warten, und so fragte er unnachgiebig weiter. »Wann ist das passiert?«
»Gegen zehn Uhr.«
Ross’ Augen verengten sich, und er blickte sich kurz um. Als er sicher war, dass sie noch allein waren, sah er Kennedy wütend an und sagte: »Es ist jetzt zwei Uhr nachmittags. Würden Sie mir vielleicht erklären, warum Sie so lange gebraucht haben, um mich zu informieren?«
Eitelkeit , dachte Kennedy, das ist der Schlüssel. »Mark«, begann sie in vertraulichem Ton, so als würden sie sich schon jahrelang kennen, »wissen Sie überhaupt, was heute hier los ist?«
Ross machte ein verwirrtes Gesicht.
»Niemand hier ist begeistert davon, was Vizepräsident Baxter leistet«, fuhr sie fort und hielt kurz inne, um die Wirkung ihrer Worte zu verstärken. »Er ist ein richtiger Hemmschuh in allen Umfragen, und es wird viel darüber geredet, ihn so schnell wie möglich auszuwechseln.« Sie beugte sich etwas weiter vor und flüsterte: »Es hatte wohl einen guten Grund, dass der Präsident Sie heute zum Golfen eingeladen hat.«
Ross atmete tief ein und nickte.
Kennedy sah ihm an, dass er ebenfalls schon an diese Möglichkeit gedacht hatte. Er brauchte ja nicht zu wissen, dass der Präsident nicht noch einmal kandidierte. Hayes würde diese Entscheidung in einem Monat bekannt geben, doch auch das würde Ross nicht aus der Bahn werfen; er würde es vielmehr als seine große Chance betrachten.
»Sie sind in der engeren Wahl, Mark. Wenn der Präsident Sie einlädt, dann sicher auch, um sich eine Meinung zu bilden. Ich wollte es nicht vermasseln, indem ich Ihnen das aufbürde, noch bevor Sie den ersten Ball gespielt haben oder indem ich Ihre Partie unterbreche.«
Ross war einen Moment lang sprachlos, und als er schließlich etwas sagen wollte, kam der Präsident herein.
»Irene«, wandte sich Hayes ihr zu und trat zu ihnen. Er war leger mit Golfhemd und Weste bekleidet. »Entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie habe warten lassen. Was gibt’s?«
Kennedy sah Ross kurz an und antwortete dann: »Mr. President, gestern Nacht wurde ein CIA-Safe-House angegriffen.« Sie schilderte dem Präsidenten und Ross, dass sie Steven Rapp zu dem Haus gebracht hatte, damit er mit seinem Bruder sprechen konnte, und dass gegen zehn Uhr plötzlich Schüsse fielen. Irene erklärte kurz, wie das Haus aufgebaut war und dass sie sich mit ihrem Sohn und Steven durch einen Tunnel in die unterirdischen Verhörräume begeben hatte, wo sie sich in einer Zelle einsperrten. Ungefähr eine Stunde, nachdem der Vorfall begonnen hatte, traf eine schnelle Eingreiftruppe der CIA vor Ort ein und sicherte die Anlage. Es fiel der CIA-Direktorin nicht leicht, hinzuzufügen, dass zwei Männer aus ihrem Sicherheitsteam
Weitere Kostenlose Bücher