Der Feind
zerklüftete Landschaft. Es war kurz vor elf Uhr, und von der Luft aus betrachtet wäre man nie auf die Idee gekommen, dass Mazar-i Sharif eine Stadt von über 100000 Einwohnern war. Es gab nicht allzu viele Straßenlaternen, und es waren auch nur wenige Autos unterwegs. Auch die Landebahnfeuer machten keinen ermutigenden Eindruck. In Anbetracht des baufälligen Zustands, in dem sich Landebahnen in diesem Teil der Welt oft befanden, beschloss Scott Coleman, den Piloten abzulösen, um die Landung selbst vorzunehmen. Wenn jemand seine Fünfzehn-Millionen-Dollar teure Maschine ruinierte, dann er selbst.
Er hatte den Anruf von Rapp schon am Samstagabend gegen elf Uhr bekommen. Er hatte wohl erwartet, von ihm zu hören, nur nicht so früh. Sie hatten den Vormittag und den frühen Nachmittag zusammen im Safe House verbracht, um darüber zu sprechen, wie sie vorgehen würden, sobald sich Rapp physisch und psychisch bereitfühlte. Nachdem Coleman weggefahren war, rief er gleich seine Leute an. Er wusste, dass sie alle mitmachen würden, nachdem sie von sich aus ihre Mitarbeit angeboten hatten. »Egal, was Mitch braucht, wir sind dabei«, hatten sie versichert. Seine Jungs – Charlie Wicker, Dan Stroble und Kevin Hackett – waren alle ehemalige SEALs und hatten schon des Öfteren mit Rapp zusammengearbeitet, zuletzt bei der Operation in Kanada.
Sie trafen sich gegen Mitternacht und waren um ein Uhr nachts in der Luft, um in einer Höhe von fast 12000 Metern den Atlantik zu überqueren. Sie legten eine kurze Zwischenlandung in Deutschland ein, um nachzutanken, und waren nicht einmal eine halbe Stunde später schon wieder unterwegs. Es gab keinen Zoll oder sonstige Probleme, die sie hätten aufhalten können. Männer wie Coleman und seine Leute waren es gewohnt, dass bei ihrer Tätigkeit oft große Eile geboten war, dass es aber zwischendurch immer wieder lange Wartezeiten gab – insbesondere bei Einsätzen wie diesem, wo sie praktisch ans andere Ende der Welt fliegen mussten. Aus diesem Grund hatte Coleman sein Flugzeug mit jeder Menge DVDs, Taschenbüchern und Zeitschriften ausgerüstet. Coleman war froh, dass sie das alles dabeihatten, denn nachdem Wicker, Hackett und Stroble Rapp ihr Beileid bekundet hatten, wussten sie nicht so recht, was sie noch sagen sollten. Special-Forces-Leute hatten kein Problem damit, über den Tod zu sprechen, wenn es einen Kerl betraf, den sie gerade im Kampf getötet hatten, aber wenn es um jemandes Frau ging, die auf tragische Weise ums Leben gekommen war, dann fehlten ihnen ganz einfach die Worte.
Coleman und Hackett wechselten sich auf dem Pilotensitz ab, während die anderen entweder schliefen oder es wenigstens versuchten. Auf der zweiten Etappe der Reise sahen sie sich Filme an, lasen Bücher oder plauderten mit Rapp über alles, nur nicht seine Frau. Als sie den Zielflughafen erreichten, flog Coleman zuerst einmal über die Landebahn hinweg, um zu sehen, ob es besonders große Löcher im Asphalt gab, denen es auszuweichen galt. Er war überrascht, die Landebahn in recht ordentlichem Zustand vorzufinden, was sie zweifelsohne den amerikanischen Steuerzahlern verdankten. Er wendete die Maschine schließlich und ging in den Landeanflug. Wenige Augenblicke später setzte der G-3 am Ende der Landebahn auf.
Coleman drehte sich um und blickte in die Kabine zurück. »Wohin jetzt, Mitch?«, fragte er.
Rapp ließ sein Satellitentelefon sinken. »Zum Südende des Terminals«, antwortete er. »Dort sollte ein Tanklaster und ein Geländewagen stehen.« Rapp hob das Telefon wieder ans Ohr. »Entschuldige, Irene, was wolltest du sagen?«
»Ross hat akzeptiert, dass wir das Außenamt vorerst nicht einschalten.«
»Und das FBI?«, fragte Rapp.
»Ebenfalls.«
»Gute Arbeit.«
»Das wird man sehen. Letzte Nacht hat jemand in Leesburg eine Granate hochgehen lassen und dabei fünf Menschen verletzt, zwei von ihnen schwer. Fünf Minuten später wurde eine RPG in das Sheriff-Büro von Loudoun County gefeuert.«
»Ein Ablenkungsmanöver?«
»Sieht ganz so aus.«
»Ist irgendjemandem der Lärm aufgefallen, den wir letzte Nacht auf der Anlage hatten?«
»Ja, gegen dreiviertel zehn hat sich jemand bei der Polizei beschwert. Sie haben dann heute Vormittag bei uns nachgefragt, was los war.«
»Und?«
»Wir haben ihnen gesagt, dass wir eine interne Feier hatten und ein paar Feuerwerkskörper abgeschossen haben.«
»Haben Sie es euch abgekauft?«, fragte Rapp.
»Bis jetzt schon.«
»Was ist mit
Weitere Kostenlose Bücher