Der Feind
nicht da sein sollten. Als er hörte, dass sich der Türgriff bewegte, stand er auf und ließ die linke Hand beiläufig unter das Sakko gleiten. Es sah so aus, als würde er bloß die Krawatte zurechtrücken. Dass er sich erhob, war eine reine Reflexhandlung; in seiner Branche wusste man nie, wer zur Tür hereinkam, und es war nun einmal bedeutend leichter, eine Pistole zu ziehen, wenn man stand.
Die beiden Männer waren ein ungewöhnliches Paar; der eine groß gewachsen, knochendürr und mit Adlernase, der andere klein und gedrungen und mit der Nase eines Boxers, der ein paar Kämpfe zu viel verloren hat, was, wie Rapp sich informiert hatte, tatsächlich der Fall war. Senator Bill Walsh war fast zwei Meter groß und stammte aus Idaho. Er war Vorsitzender des Geheimdienstausschusses im Senat. Rapp vermutete, dass die Initiative zu dem Treffen von ihm ausgegangen war. Walsh wirkte zwar rein äußerlich um einiges ansprechender als der andere Mann, doch auch bei ihm wusste Rapp absolut nicht, woran er war. Sein Begleiter war Senator Carl Hartsburg aus New Jersey. Der knapp über einen Meter siebzig große Mann war in Hoboken aufgewachsen, wo er es im Boxring bis zum Golden-Gloves-Champion brachte. Es hieß jedoch, dass er kein herausragender Boxer gewesen sei, aber dafür einiges einstecken konnte, wofür seine ramponierte Nase der Beleg war. Beide Männer waren etwa Mitte sechzig, also fast dreißig Jahre älter als Rapp.
Es war Hartsburg, der als Erster sprach, und zwar in leicht gereiztem Ton. »Ausgerechnet die Kongress-Bibliothek. Da hätten wir uns auch gleich drüben in meinem Büro treffen können.«
Rapp hatte einen der vielen Leseräume der Congressional Library auf dem Capitol Hill als Treffpunkt gewählt.
»Ich bin mehr für neutralen Boden«, erwiderte Rapp.
Walsh streckte ihm die Hand entgegen. »Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mit uns zu sprechen.«
Rapp schüttelte Walsh die Hand, machte danach aber keine Anstalten, von sich aus auch dem mürrischen Hartsburg die Hand zu reichen. Dieser schien auf solche Gesten der Höflichkeit ohnehin keinen Wert zu legen. Nachdem sie sich gesetzt hatten, drückte Rapp einige Tasten an seinem BlackBerry und legte das Gerät dann auf den Tisch.
Hartsburg blickte auf das kleine schwarze Kästchen hinunter. »Was zum Teufel ist denn das?«, fragte er.
»Nur um sicherzugehen, dass Sie mich nicht aufnehmen.«
»Ein Störgerät?«
Rapp nickte.
»Gut«, brummte Hartsburg. »Es ist nämlich das Letzte, was ich will, dass unser Treffen in irgendeiner Weise aufgezeichnet wird.« In kaum hörbarem Ton fügte er hinzu: »Ich bin mir gar nicht sicher, ob ich dieses Treffen überhaupt wollte.«
Rapp verschränkte die Arme vor der Brust und musterte den Senator. Er fragte sich, ob seine mürrische Stimmung echt oder nur gespielt war. »Also, warum wollen sich zwei so große Kaliber wie Sie mit jemandem wie mir treffen?«
»Das frage ich mich auch schon die ganze Zeit«, antwortete Hartsburg säuerlich.
»Carl«, warf Walsh in vorwurfsvollem Ton ein. Er sah den entschlossen dreinblickenden Rapp an, der ihm gegenübersaß, und beschloss, gleich zur Sache zu kommen. »Wir sind besorgt, Mitch … besorgt, dass trotz der scharfen Rhetorik, der Ausweitung der Homeland Security und des neuen Direktors der National Intelligence nicht genug getan wird, um Amerika zu schützen.«
»Da kann ich Ihnen nicht widersprechen.«
»Das dachten wir uns schon. Deshalb wollten wir ja auch mit Ihnen sprechen.« Walsh legte die Hände auf den Tisch und zögerte einige Augenblicke. »Wie ist Ihre ehrliche Meinung zu den Umstrukturierungen im Bereich der Nachrichtendienste? Was halten Sie von der Einsetzung eines übergeordneten Direktors für alle Geheimdienste?«
Rapp überlegte einen Augenblick, ob der Senator die Frage wirklich ernst meinte. Tatsache war jedoch, dass Walsh und sein Kollege wohl kaum einmal von irgendjemandem eine ehrliche Antwort zu diesen Dingen bekamen, und so beschloss er, ganz offen zu sein. »Ich halte das für eine unüberlegte und ziemlich hilflose Reaktion von Politikern, die in aller Eile irgendetwas tun, damit die Leute glauben, sie würden die Dinge in die Hand nehmen. Wenn der nächste Anschlag kommt, können sie dann wenigstens sagen, sie hätten alles getan, was in ihrer Macht stand, wo sie in Wahrheit bloß jene behindern, die wirklich das Land verteidigen.«
»Sie stellen sich unseren Job wohl ganz leicht vor, was?«, warf Hartsburg
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