Der Feind
dass das Gespräch etwas hitzig werden konnte. Im Grunde erschien ihm die Aussicht fast verlockend, ein paar Dinge loswerden zu können, die ihn schon lange störten. Der wahre Grund, warum er das Treffen mit den beiden Männern vereinbart hatte, war jedoch Irene Kennedy. Er hatte sie gleich am Sonntag früh angerufen und ihr eine Nachricht hinterlassen. Das Problem war gelöst. Mehr sagte er nicht.
Am Sonntagmorgen war noch nichts davon an die Öffentlichkeit gelangt. Doch das war Sonntag gewesen, und heute war Montag. Die Geschichte war mittlerweile in allen Medien zu finden, worüber Kennedy alles andere als erfreut war. Sie konnte jedoch nicht viel tun, bis er persönlich zu ihr ins Büro in Langley kam. Solche Dinge besprach man nicht am Telefon, auch wenn die Leitungen als abhörsicher galten. Deshalb hatte Rapp beschlossen, ihr ein wenig Zeit zu geben, um sich zu beruhigen, und vor dem Gespräch mit ihr die beiden Männer anzurufen, die er auf ihren Wunsch treffen sollte. Und so hatte er sich also in ein Viertel der Stadt begeben, in dem er sich nur selten aufhielt, um mit zwei Männern zu sprechen, die er nicht im Geringsten respektierte.
Rapp hatte auch äußerlich kaum etwas Weiches an sich. Er hatte ein markantes Kinn und kantige Gesichtszüge, und seine dunkelbraunen Augen konnten eine beängstigende Intensität ausstrahlen. Es waren Augen, denen kaum etwas entging und die nur einem sehr aufmerksamen Beobachter verrieten, dass der Mann dahinter extrem gefährlich war. Sein rabenschwarzes Haar begann an den Schläfen ein wenig zu ergrauen, und sein Gesicht war geprägt von den vielen Stunden, die er im Freien verbracht hatte, Wind und Wetter ausgesetzt. Eine dünne Narbe verlief auf der linken Wange bis zum Kinn hinunter – eine ständige Mahnung, wie gefährlich das Geschäft war, dem er nachging. Mitch Rapp war einen Meter dreiundachtzig groß und vierundachtzig Kilo schwer. Er war überaus athletisch gebaut und stellte eine seltene Mischung aus Kraft und Schnelligkeit dar, wie man sie sonst nur bei herausragenden Rückraumspielern im American Football fand. Der Unterschied war, dass er seine Qualitäten nicht im Sport einsetzte, sondern zum Zwecke des methodischen, kalkulierten Tötens.
Rapp hatte kein Problem damit, sich als Killer zu sehen, auch wenn das den Menschen in seiner Umgebung gar nicht recht war. Viele wären vielleicht überrascht gewesen, zu erfahren, dass er schlafen konnte wie ein unschuldiges Kind. Seine Tätigkeit war klar definiert: Er tötete Terroristen – Männer, die entweder unschuldige Zivilisten ermordet hatten oder in aller Öffentlichkeit verkündeten, dies zu tun. Er hatte sich diesen Job nicht ausgesucht. Es war nicht so, dass er schon als Kind Schmetterlingen die Flügel ausgerissen oder Katzen gequält hätte. Das Leben in seiner Jugend war ausgefüllt mit Familie, Schule, Freunden, Sport und einem kleinen Rest von Religion, der aus zwei Kirchenbesuchen im Jahr bestand – zu Weihnachten und zu Ostern. Jedenfalls wäre er nie auf den Gedanken gekommen, jemanden umzubringen – bis zu dem Tag, an dem eine PanAm-Maschine nach einem Terroranschlag über der schottischen Ortschaft Lockerbie abstürzte. An jenem kalten Morgen verloren 259 unschuldige Menschen ihr Leben, darunter auch 35 junge Leute, die mit ihm an der Syracuse University studierten. Eine junge Studentin unter den Opfern war damals seine große Liebe gewesen. Wenig später kamen bestimmte Leute, ohne dass er davon wusste, auf die Idee, ihn für die Arbeit in der geheimnisumwitterten Welt der Spionage anzuwerben.
Rapp hatte für dieses Treffen einen grauen Anzug angezogen, dazu ein weißes Hemd und eine gestreifte Krawatte, alles von seiner Frau ausgesucht. Wie immer war er bewaffnet. Rapp hatte den Raum mit seinem BlackBerry gründlich überprüft. Das kleine Gerät war in der Hauptsache Mobiltelefon und Internet-Browser – die Leute von der CIA-Abteilung für Wissenschaft und Technik hatten das kleine schwarze Ding jedoch zusätzlich mit der Fähigkeit ausgestattet, Wanzen aufzuspüren und unbrauchbar zu machen. Das zweieinhalb mal dreieinhalb Meter große Zimmer war jedenfalls frei von Lauschwerkzeugen. Rapp setzte sich auf einen der sechs Holzsessel, legte die Füße auf den Tisch und verschränkte die Hände hinter dem Kopf.
Die beiden Männer kamen fünf Minuten zu spät. Rapp hatte ihnen klipp und klar gesagt, dass er wieder gehen würde, falls sie zehn Minuten nach der vereinbarten Zeit noch
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