Der Feind
Mistkerl irgendjemandes Tochter geschändet hat, was wahrscheinlich sogar stimmt. Wir haben ihm das Geld in den Mund gestopft und ihn mit zahlreichen Stichwunden liegen lassen. Solche Einzelheiten sickern bestimmt zu den Medien durch, und kein Mensch wird jemals annehmen, dass wir etwas damit zu tun haben könnten.«
Irene Kennedy drehte sich um und schritt zum Sitzbereich am anderen Ende ihres Büros hinüber. Eine lange Couch und zwei Stühle standen um einen rechteckigen Couchtisch herum. Rapp wartete einige Augenblicke und folgte ihr dann.
Sie stand mit dem Rücken zu ihm und blickte aus dem Fenster auf die leuchtenden Herbstfarben im Tal des Potomac hinaus. Eine ganze Weile stand sie schweigend da, ehe sie schließlich den Kopf schüttelte und fragte: »Und wie war das Treffen?«
Rapp war erleichtert, dass sie das Thema wechselte. »Ungewöhnlich. Warum hast du mir nicht gesagt, was sie wollten?«
»Ich wollte deine ehrliche Reaktion haben.«
»Du wolltest, dass sie mir eine nette Überraschung bereiten«, berichtigte Rapp.
»So könnte man es auch sagen«, räumte sie ein. »Du wirkst ungewöhnlich ruhig. Ich hätte fast erwartet, dass du hereingestürmt kommst und mir den Kopf abreißen willst.«
Rapp blickte zum Fenster hinaus, ohne etwas Bestimmtes zu sehen. Die Tatsache, dass er und Senator Hartsburg in einer so wichtigen Frage einer Meinung waren, reichte allein schon aus, dass er sich fragte, ob er das alles geträumt hatte, doch das war erst der Anfang gewesen. Der Vorschlag, den ihm die beiden Männer unterbreiteten, war so ungefähr das Letzte, was er erwartet hätte.
»Du glaubst nicht, dass sie dir nur eine Falle stellen wollen?«, fragte sie.
»Nein«, antwortete Rapp, den Blick immer noch zum Fenster gerichtet. »Es kann ja sein, dass ich ihnen ein Dorn im Auge bin, aber ich glaube nicht, dass sie das alles in Kauf nehmen würden, nur um mich abzuschießen. Außerdem wissen sie, dass ich sie töten würde, bevor sie mich auf irgendeiner Anhörung zur Strecke bringen könnten.«
Irene Kennedy fragte sich, ob das nur so dahingesagt war, oder ob er es ernst meinte.
»Ich könnte mir eventuell vorstellen, dass es sich Hartsburg in den Kopf setzen könnte, mich zu erledigen, aber nicht Walsh.«
»Das sehe ich auch so«, pflichtete sie ihm bei und stellte ihre Kaffeetasse auf den Couchtisch. »Ich weiß, was in dir vorgeht. Ich habe mir die gleichen Gedanken gemacht, als sie vorige Woche zu mir kamen. Da steht man sich so lange fast feindlich gegenüber, und wenn man dann einmal auf derselben Seite steht, fragt man sich plötzlich, ob das wirklich stimmen kann.«
»Genauso ist es«, bestätigte Rapp. »Man weiß es zu schätzen, dass sie helfen wollen, aber irgendwie möchte man nicht wirklich mit ihnen zu tun haben.«
»Es gibt da einen Punkt, der ihre Beweggründe deutlich macht. Bist du schon draufgekommen?«
»Nein.«
Irene Kennedy hatte es sofort gesehen und war deshalb etwas überrascht, dass es Rapp entgangen war. »Ich nehme an, du hattest eine angenehm ruhige Fahrt vom Kapitol heraus nach Langley. Was hast du da so gedacht?«
»Wie man die Sache anpacken und finanzieren könnte … und wie ich sie töten würde, falls sie mich reinlegen wollen.«
Sie nickte langsam und kam zu dem Schluss, dass er wirklich vorhatte, die beiden Politiker zu töten, falls sie ihm eine Falle stellen wollten. »Ich glaube nicht, dass sie irgendjemanden von uns reinlegen wollen.«
»Ich wünschte, ich könnte deinen Optimismus teilen, aber ich schaffe es einfach nicht, diesem Hartsburg zu trauen.«
»Die Bombe hat alles verändert, Mitch.«
Rapp sah sie ziemlich skeptisch an. Die Bombe, von der sie sprach, betraf einen Plan von radikalen Islamisten, Washington in die Luft zu jagen. Wenn Rapp und eine Handvoll entschlossener Leute nicht gewesen wären, hätten die Senatoren Walsh und Hartsburg ebenso wie der Großteil ihrer Kollegen in der Explosion einer Atombombe mit einer Sprengkraft von fünfzehn Kilotonnen ihr Leben verloren.
Jetzt verstand Rapp, was sie meinte. »Selbsterhaltung«, sagte er nachdenklich.
»Das ist nun mal ihr stärkster Instinkt.«
Rapp dachte einige Augenblicke darüber nach. Politiker waren eine überaus zähe Spezies. »Nun ja, mir soll’s recht sein. Ich will mich nur auf sie verlassen können, wenn wir uns mit ihnen zusammentun.«
»Was hältst du von ihrem Vorschlag?«, wollte Irene Kennedy wissen.
»Na ja, im Grunde geht es um eine Erweiterung des Orion-Teams,
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