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Der Feind

Titel: Der Feind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vince Flynn
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und ihn mit schlechtem Kaffee gefüllt. Seine Aktentasche stellte er auf den Beifahrersitz seines gemieteten Ford Taurus und war somit einer von vielen Handlungsreisenden, die auf Amerikas Straßen unterwegs waren. Er timte es so, dass er die Grenze während des morgendlichen Stoßverkehrs überquerte. In beiden Richtungen hatte sich eine lange Autoschlange gebildet. Die Zollbeamtin fragte ihn nicht einmal, wo er hinwollte. Sie klappte seinen kanadischen Pass auf, knallte ihren Stempel hinein und gab ihn zurück. Hätte sie gefragt, so hätte er gesagt, dass er den Rest der Woche in Boston verbringen würde und am Freitag wieder heimfahren wollte. Aber sie hatte eben nicht gefragt. Sie hatte eine lange Schlange von Autos abzufertigen, und Gould war offensichtlich nur einer von vielen unauffälligen, langweiligen Geschäftsleuten, die ihrer Arbeit nachgingen.
    Die Fahrt dauerte zwölf Stunden inklusive einiger kurzer Stopps. Er fuhr auf dem Interstate Highway 87 südwärts durch den Bundesstaat New York und genoss die schöne Landschaft. Die Straße führte an der Westseite des Lake Champlain entlang. Als Gould einst in den Staaten gelebt hatte, war er viel gereist. Er war unten in Georgia und Texas gewesen und hatte in den Sommerferien den Mount Rushmore und den Yellowstone Nationalpark besucht. Er war von Vancouver nach San Diego gereist, und von Portland, Maine, nach Florida. Was ihn an Amerika immer fasziniert hatte, war seine schier endlose Weite und die stets sich verändernde Landschaft. So wie viele andere Gegenden hatte auch diese Landschaft im Norden von New York State ihren ganz eigenen Reiz. Die Herbstfarben zeigten sich in ihrer vollen Pracht, und die kleinen Städte, an denen er vorbeikam, boten ein idyllisches Bild.
    Er fuhr auf dem Interstate Highway südwärts bis Albany, wo er tankte und etwas Gebäck und Wasser kaufte. All das bezahlte er in bar. Den Mietwagen hatte er mit einer Kreditkarte bezahlt, die auf den Namen Peter Smith lautete. Unter diesem Namen hatte Gould vor mehr als einem Jahr in einer Bank in Montreal ein Konto eröffnet, auf das er fünftausend Dollar einzahlte. Als Geschäftsadresse hatte er ein Postfach angegeben, eine durchaus übliche Vorgangsweise. Er bekam eine Geldautomatenkarte und eine Kreditkarte, die gut zu dem Reisepass und Führerschein passten, die er von einem engen Freund aus seiner Zeit bei der Legion hatte fälschen lassen. Er hatte die beiden Karten bis zu diesem Tag nie benutzt, und er würde sie nach diesem Tag auch nie wieder benutzen.
    Von Albany nahm er den Interstate Highway 88 nach Binghamton, New York. Gould bemühte sich, immer in der Kolonne zu fahren, nie ganz vorne oder als Schlusslicht. Bei Binghamton bog er nach Süden ab und überquerte die Staatsgrenze nach Pennsylvania, wo er nach einem Jagdgeschäft Ausschau hielt. Etwas außerhalb von Scranton wurde er schließlich fündig.
    Er fuhr in den riesigen Parkplatz ein und betrat das Kaufhaus, das ein wahres Mekka für Jäger, Angler und Naturliebhaber zu sein schien. Ein großer ausgestopfter Grizzlybär begrüßte ihn mit hoch erhobenen Tatzen an der Eingangstür. Das imposante Tier erinnerte ihn einen Moment lang an Mitch Rapp. Er fragte sich, wie das Tier wohl erlegt worden war. Wahrscheinlich mit einem Gewehrschuss aus einiger Entfernung. Es wäre viel zu riskant, einem solchen Tier allzu nahe zu kommen. Grizzlys verfügten über einen ausgezeichneten Geruchssinn und ein gutes Gehör, und sie waren für ihre Größe erstaunlich flink. Es brauchte schon eine ziemlich durchschlagskräftige Kugel, um einen solchen Bären zu erlegen. Wenn man ihn nicht im Gehirn oder im Rückgrat traf, würde er weiter auf einen zustürmen. Selbst wenn man ihn ins Herz traf, blieben ihm noch rund zehn Sekunden – genug Zeit also, um einem mit seinen riesigen Pranken den Kopf abzureißen. Was für eine Schande, ein so stolzes Tier zu töten, ohne ihm die Chance zur Gegenwehr zu geben.
    Er fragte sich, ob er wohl Mitch Rapp diese Chance geben würde, oder ob er ihm ganz einfach aus sicherer Entfernung eine Kugel in den Kopf jagen würde, wie es der Jäger in diesem Fall zweifellos getan hatte. Gould wusste es wirklich nicht. Einerseits hätte er ganz gern gewusst, wer von ihnen beiden der Bessere war – aber er wusste, dass es sein Ego war, das ihm einflüsterte, ganz nahe heranzugehen, damit er sich beweisen konnte, dass er der bessere Krieger war. Rapp war wie dieser Grizzly. Man musste verrückt sein, wenn man sich

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