Der Feind
Zorn war einfach zu groß. Er knallte Ross die Aktenmappe an die linke Seite des Kopfes. Ross’ makellos frisiertes Haar flog ihm ins Gesicht.
Rapp packte ihn am Hemd. »Hören Sie, Sie Idiot. Ich bin Ihnen überhaupt keine Rechenschaft schuldig, sondern nur dem Präsidenten. Mein Job ist es, Terroristen zu jagen, und das Letzte, was ich brauche, ist, dass mir ein Typ wie Sie, der keinen blassen Schimmer hat, worum es geht, andauernd über die Schulter guckt und mir sagt, was ich tun soll.« Rapp ließ sein Hemd los und schob den konsternierten Ross in seinen Sessel zurück.
Rapp trat einen Schritt zurück. »Glauben Sie ja nicht, ich wüsste nicht, wie das Spiel hier läuft. Sie betrachten das hier doch nur als Sprungbrett für höhere Aufgaben. Das haben Sie doch im Auge, nicht wahr, Ross? Sie wollen eines Tages Präsident werden.«
Ross war zu wütend, um sprechen zu können. Rapp blickte zu Gordon hinüber, der immer noch ganz ruhig an seinem Platz saß. »Ich habe gehört, Sie sollen hier der Vernünftige sein. Sehen Sie zu, dass Sie ihn zur Vernunft bringen, denn sonst verspreche ich Ihnen eines … Ich kann ihn zwar nicht zum Präsidenten machen«, Rapp zeigte auf Ross, »aber ich garantiere Ihnen, dass ich dafür sorgen kann, dass das sein letzter Regierungsjob ist.«
Rapp nahm die anderen Unterlagen an sich und steckte sie sich unter den Arm. Er machte sich nicht einmal mehr die Mühe, sich noch an Ross zu wenden, sondern sprach direkt zu Gordon. »Pfeifen Sie die Finanzbeamten bis spätestens Mittag zurück, sonst sehen wir uns im Oval Office wieder, und ich verspreche Ihnen – dagegen wird Ihnen das hier wie das reinste Picknick vorkommen.«
Gordon nickte wortlos.
Rapp ging mit den Unterlagen hinaus und knallte die Tür hinter sich zu.
Gordon wartete ein paar Sekunden, ehe er einen tiefen Seufzer ausstieß und langsam den Kopf schüttelte. »Ich habe Ihnen ja gleich gesagt …«, begann er.
»Sagen Sie’s nicht«, versetzte Ross erzürnt. »Ich weiß, dass Sie mir gesagt haben, dass das keine gute Idee wäre. Ich weiß, dass Sie davon abgeraten haben, dass wir uns mit Rapp anlegen. Ich weiß es!« Ross sprang aus seinem Sessel hoch. Er trat ans Fenster und blickte zum Weißen Haus hinüber. »Ich glaube, ich sollte mit dem Präsidenten darüber sprechen«, sagte er nach kurzem Schweigen.
Gordon sah ihn verständnislos an. »Sind Sie verrückt?«, fragte er in völlig nüchternem Ton. »Haben Sie überhaupt zugehört, was er gerade gesagt hat? Das war Mitch Rapp, Mark, ein Mann, dessen Job es ist, Leute zu töten. Er dringt in Terrorzellen ein. Er hat jede Menge streng geheime Operationen durchgeführt. Und er spricht den Präsidenten mit dem Vornamen an. Schlagen Sie sich ihn aus dem Kopf. Und Coleman genauso. Wir haben auch so genug zu tun.«
Gordon sah seinen Chef an. Er wusste, wie der Mann dachte und wie groß sein Ego war. Er wusste, wie schwer es ihm fallen würde, die Sache auf sich beruhen zu lassen. »Mark, es lohnt sich nicht. Das haben Sie doch gar nicht nötig. Sie werden eines Tages Präsident sein, und wenn es so weit ist, können Sie tun, was Sie wollen. Im Moment aber müssen wir die Finger davon lassen.«
Ross biss die Zähne zusammen und starrte zum Weißen Haus hinüber. Er war in seinem ganzen Leben noch nie so gedemütigt worden. Es war ihm scheißegal, wer Mitch Rapp war. Er wurde mit jedem hier in der Stadt fertig. Aber jetzt, so sagte er sich, galt es zuerst einmal, sich zu beherrschen. Er würde sich sammeln und beim nächsten Mal besser aufpassen. Er würde bessere Leute einsetzen. So ungern er es sich eingestand, aber Gordon hatte recht. Er musste seinem Rat folgen, zumindest im Augenblick. Aber wenn sich eine Gelegenheit ergab, würde er Mitch Rapp zermalmen und sich an diesem Neandertaler rächen. Man musste Rapp klarmachen, wo sein Platz in der Rangordnung war, und ihn dazu bringen, den gewählten Repräsentanten des Staates zu gehorchen. Ross nickte langsam, und ein verschlagenes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Er würde es ihm schon noch heimzahlen. Nein, mehr als das. Wenn der Moment gekommen war, würde er Mitch Rapp vernichten.
25
BALTIMORE, MARYLAND
Gould hatte den Großteil des Tages gebraucht, um von Montreal aus sein Ziel in den USA zu erreichen. Der Grenzübertritt war geradezu lächerlich einfach gewesen. Er hatte Anzug und Krawatte angelegt, einen von diesen Reisebechern gekauft, wie man sie an jeder Tankstelle in Nordamerika bekam,
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