Der feine Unterschied
dort direkt nach Hause oder in den Urlaub?
Die meisten sind dafür, noch einmal zurück nach Berlin zu reisen, nur ein paar wollen lieber gleich nach Hause.
Als wir in Stuttgart ankommen, regnet es. Das Flugzeug hat Verspätung, und der Bus, der uns ins Hotel bringen soll, kommt nicht weiter.
» Was ist denn hier los?«, fragt irgendwer in den vorderen Reihen.
»Der Hauptbahnhof ist gesperrt«, antwortet der Busfahrer.
»Wieso das denn? Muss das sein«, raunzt ein anderer Spieler.
Aber dann antwortet der Busfahrer, der per Handy Informationen über die aktuelle Lage einholt: »Vor dem Bahnhof stehen zehntausend Leute. Die warten auf euch.«
Der Bus pflügt durch die Menge wie Moses durchs Meer. Tausende Gesichter, die lächeln, lachen, aus denen Begeisterung spricht, weil wir hier ankommen, in Stuttgart, zum völlig überflüssigen Spiel um den dritten Platz, und plötzlich rinnt es mir kalt über den Rücken und ich habe Gänsehaut.
Der Wahnsinn. Zehntausend im Regen. Weil sie ihrer Mannschaft zujubeln wollen. Uns.
Im Bus steigt die Temperatur der Stimmung. Ist das wahr, was wir hier sehen?
Wahnsinn, sagt einer.
Wahnsinn, antworten zwei andere.
Als wir beim Hotel ankommen und aussteigen, unsere Taschen in die Lobby schleppen, hören wir »Deutschland, Deutschland«-Chöre. Als wir eine Stunde später beim Abendessen sitzen, höre ich von draußen einen Schrei, als hätten wir gerade den Ausgleich gegen Italien geschossen. Aber es ist nur Lukas Podolski, der vor dem großen Panoramafenster des Speisesaals steht und sich vergewissert, dass noch kein Mensch den Platz verlassen hat.
»Die sind noch immer da«, sagt Poldi.
Die Menge schreit, weil sie Poldi sieht.
Zehntausend Menschen sind noch immer da. Zehntausend Menschen wollen sich im strömenden Regen dafür bedanken, dass wir eine super WM gespielt haben, dass wir ihnen Spaß und Freude gemacht und Hoffnung vermittelt haben. Keiner von diesen Zehntausend ist enttäuscht über die Niederlage gegen Italien. Hätten wir die Italiener geschlagen, die Stimmung könnte kein bisschen ausgelassener, euphorischer, freundschaftlicher sein.
Später am Abend, als ich mich vom Physiotherapeuten behandeln lasse, sind die Menschen immer noch da. Es ist zehn, es ist dunkel, und wir sind sprachlos über so viel Zuwendung. Ein paar Spieler schmeißen T-Shirts und Handtücher hinunter auf den Bahnhofplatz, eine hilflose Geste, um Danke zu sagen, um irgendwas zu sagen, um zu verstehen zu geben, hey, Leute, Wahnsinn, dass ihr da seid.
Jetzt muss uns niemand mehr ein Wort sagen, damit wir das Spiel um den dritten Platz ernst nehmen. Wir sind diesen Menschen verpflichtet. Sie haben uns auf ihre Zuneigung eingeschworen, und das muss auch im letzten Spiel mit Vollgas zurückgezahlt werden.
Bevor wir ins Stadion aufbrechen, spielt uns Oliver Bierhoff im Besprechungsraum einen Song vor, den er gerade von Xavier Naidoo zugeschickt bekommen hat. Wir haben in diesen Wochen oft Xavier Naidoo gehört. Sein Song »Dieser Weg wird kein leichter sein« war die inoffizielle Hymne unserer Mannschaft, er hat uns von Anfang an begleitet, lief in der Kabine, hat uns immer wieder motiviert und aufgemuntert:
»Dieser Weg wird kein leichter sein dieser Weg wird steinig und schwer ...«
Jetzt hat Xavier ein Lied aufgenommen, das ganz schlicht »Danke« heißt, und wir alle sind verblüfft, als wir es hören. Es ist ein Lied, das von uns handelt, sich an uns richtet, an jeden Einzelnen von uns.
Xavier singt: »Ihr habt uns so viel geboten, eure Namen sollen klingen ...«, und dann kriegt jeder von uns seinen Reim, »Kapitän Michael Ballack / du hast famos geballert ...«, »der famose / Miro Klose ...«, »Arne Friedrich / Deutschland liebt dich«.
Ich kriege die Zeile »Vor dem blauen Auge / war schon der verletzte Arm / doch das erste Tor Deutschlands / schoss Philipp Lahm / dich spielen zu sehen / war ’ne Offenbarung / nie vergessen wir deinen Namen ...«
Geil.
Das Stuttgarter Stadion ist schon voll, als wir mit dem Bus ankommen. Vor dem Stadion warten noch einmal so viele Menschen wie im Stadion selbst. Die Stimmung unglaublich. Wir gehen ohne Verbissenheit, aber dafür mit unendlich viel Dankbarkeit und dem Bedürfnis, den Fans zurückzugeben, was sie uns spüren ließen, in das Spiel. Es ist Oliver Kahns letztes Länderspiel. Basti Schweinsteiger spielt eine Riesenpartie, er macht alle drei Tore zu unserem 3:1-Sieg.
Nach dem Spiel nehmen wir die Medaille für den dritten
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