Der feine Unterschied
Fans teilen werden, die uns tags darauf in Berlin empfangen.
Nach dem Spiel hat die UEFA das »All Star Team« dieser EM veröffentlicht. Neben Michael Ballack und Lukas Podolski bin ich der dritte nominierte Deutsche.
Hm. Trotzdem wird diese Europameisterschaft ein Turnier bleiben, an das ich mit gemischten Gefühlen denke. Zu schräg die Schieflage in der Mannschaft. Zu sprunghaft unsere Leistungen, zu viel Egoismus und zu viele Fehler, und da fasse ich
mir auch an die eigenen Nase. Es ist absehbar, dass diese Mannschaft frische Energien braucht, und ich weiß auch, wer das noch viel besser weiß als ich: der Bundestrainer.
9. Kapitel
BACKHENDL MIT DER KANZLERIN
Die nationale Frage. Fußballspielen für Deutschland
Nationalmannschaft und Integration - Herkunft und Identität -Fußball als Bühne für Politik—Prominenz und Politik - die Kanzlerin und das Nationalteam - Sympathie für unser Multikulti-team — der wahre Wert einer Mannschaft
Bevor wir in der Qualifikation für die EM 2012 in Polen und der Ukraine gegen die Türkei spielen, ruft der DFB beim FC Bayern an. Ob Hamit Altintop und ich gemeinsam ein Interview geben können.
Der Hintergrund: Wenn am 8. Oktober 2010 in Berlin das Länderspiel Deutschland gegen die Türkei stattfindet, sollen die Emotionen der Zuschauer durch ein paar mäßigende Worte von zwei Spielern, die im Länderspiel Gegner sein werden, aber im Alltag Mannschaftskollegen sind, runtergekocht werden.
Ich sage sofort Ja, und Hamit ist auch einverstanden. Der DFB fürchtet, dass es im Stadion zu Unruhen kommen könnte. Es werden Zehntausende Türken, die in Berlin leben, zum Spiel erwartet. Vielleicht nicht unbedingt die beste Programmierung eines Spielorts durch den DFB, aber bitte. Wir werden schon die richtigen Worte finden.
Der DFB schickt Uli Voigt von der DFB-Pressestelle. Uli soll das Gespräch mit Hamit und mir führen. Die wichtigsten Sze-nen werden dann zusammengeschnitten und vor dem Länderspiel in Berlin auf der Videowall eingespielt.
Wir sitzen in einem Presseraum, und Uli stellt unverbindliche Fragen zu Fairplay und Kameradschaft. Dann kommt er zum Kern der Sache, zum Thema Integration.
»Der FC Bayern ist ja eine internationale Mannschaft. Es kommen viele Nationalitäten zusammen ...«
»Ja«, sage ich. »Ich finde das was Schönes, wenn sich bei uns viele Kulturen treffen. Es hat immer was Bereicherndes, wenn Franck Ribery mit südlichem Temperament ins Training einsteigt. Oder wenn Hamit« — ich lege ihm sozusagen seine Wortmeldung auf - »mit vollem Einsatz für den FC Bayern aufläuft. Denn das haben Nationalspieler aus Deutschland und der Türkei gemeinsam: Fußball ist unsere gemeinsame Sprache.«
Aber Hamit schaut mich irgendwie abwesend an. Er ist ein netter, großer Kerl mit einem superscharfen Schuss. An guten Tagen hat er eine eindrucksvolle physische Präsenz auf dem Platz und kann ein ganzes Spiel tragen. Beim FC Bayern hat er es nicht immer einfach gehabt. Er kam nicht so oft zum Einsatz, dass er über eine längere Phase zeigen konnte, was er draufhat.
Uli gibt das Mikrofon an Hamit weiter.
Aber der nimmt meine Vorlage nicht auf, sondern beginnt von etwas ganz anderem zu erzählen.
Dass es für ihn eine Herzensangelegenheit sei, für die Nationalmannschaft zu spielen, und während ich verständnisvoll nicke, weil das selbstverständlich auch für mich gilt, fängt Hamit davon an, dass er nicht verstehen kann, warum Mesut Özil für Deutschland spielt.
Unser Gespräch scheint jetzt eher auf einen Streit zuzusteuern als auf den ausgleichenden Tonfall, den wir eigentlich abliefern sollen, aber dann kriegen wir doch noch die Kurve. Der
Dialog wird auf seine versöhnlichen Stellen zusammengeschnitten und kann am Spieltag wunschgemäß eingesetzt werden.
Hamit ist damit aber offensichtlich nicht zufrieden. In einem großen Interview mit der »Süddeutschen Zeitung«, das zwei Tage vor dem Spiel erscheint, legt er nach: »Es heißt doch >Länder<-Spiel, man hört die Hymne, und da spielt man doch für das Land, dem man sich zugehörig fühlt. Ich bin Deutschland sehr, sehr dankbar, ich habe hier sehr viel gelernt und sehr viele Chancen bekommen. Aber meine Mama kommt aus der Türkei, mein Vater kommt aus der Türkei, ich bin Türke.«
Auf die unvermeidliche Frage nach Mesut Özil antwortet er: »Ich bin ein toleranter Mensch und respektiere Mesuts Weg, aber unterstützen kann ich ihn nicht.«
Damit befinden wir uns mitten in der
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