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Der feine Unterschied

Titel: Der feine Unterschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philpp Lahm
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gewann, war das ein unvergleichlicher Triumph des italienischen Südens über den reichen Norden. Überall südlich von Rom wurde gefeiert, dass man den arroganten, tonangebenden Mannschaften Norditaliens endlich einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte. Der Hintergrund dafür war, dass sich der Süden Italiens seit jeher vom wirtschaftsstarken Norden gedemütigt fühlt, und der Meistertitel für Neapel — damals mit Diego Maradona, der in Neapel bis heute wie ein Heiliger verehrt wird - war ein deutliches Zeichen des Widerstands, des Aufbegehrens des armen Süden gegen den reichen Norden - oder wurde wenigstens von den Fans so interpretiert.
    In jeder größeren Stadt haben verschiedene Klubs traditionell Anhänger aus verschiedenen sozialen Schichten, deshalb sind Derbys oft so spezielle Spiele, deren Bedeutung über das jeweilige Match hinausgeht. Im Fußballstadion werden Konflikte ausgetragen, die sonst keine klar erkennbare Bühne haben.
    Das muss nicht unbedingt negativ sein. Als die französische Nationalmannschaft 1998 im eigenen Land den Weltmeistertitel gewann, wurde das aus vielen Immigrantenkindern gebildete Team zu einem Sinnbild für eine gelungene Integrationspolitik Frankreichs.
    Fußball ist für die Politik interessant, weil das Spiel die Aufmerksamkeit so vieler Menschen auf sich zieht. Als wir 2006 bei blendendem Sommerwetter den Slogan der WM - »die Welt zu Gast bei Freunden« - mit guten Leistungen begleiten, sodass eine unbeschreibliche Euphorie entsteht, wird die Nationalmannschaft zu einem Symbol neuer deutscher Tugenden. Nicht mehr das Klischee der Kampfmaschinen, die mit eisernem Willen das Glück zwingen wollen, steht im Vordergrund, sondern eine neue Generation von Deutschen, die Freude am Spiel haben, die positiv und leichtfüßig ihre Ziele erreichen.
    Manchmal muss ich schmunzeln, was alles in eine Fußballmannschaft hineininterpretiert wird. Ich bin zum Beispiel fest davon überzeugt, dass das Sommermärchen während der WM 2006 nicht stattgefunden hätte, wenn es dauernd geregnet hätte. Aber während dieser Wochen war alles so, wie es sein sollte, und die Mannschaft passte mit ihren Spielen, ihren Ergebnissen und ihrer Ausstrahlung ins Bild dieser überdimensionalen »Deutschland-Party«, wie es der »Spiegel« nannte.
    Klar, dass sich auch die Politik ihren Anteil an der guten
    Stimmung abholen möchte. Die TV-Kameras schwenken bei großen Spielen regelmäßig von den jubelnden Spielern auf dem Platz auf die Ehrentribüne, wo Bundespräsidenten, Kanzler und Ehrengäste einander beglückwünschen oder trösten. Die jubelnde Kanzlerin gehört inzwischen fast zu jeder Übertragung eines wichtigen Spiels.
    Angela Merkel ist erst seit einem halben Jahr Kanzlerin, als die WM in Deutschland stattfindet. Am Anfang sieht es noch ungewohnt aus, wenn sie auf der Ehrentribüne aufspringt und mit geballten Fäusten über ein Tor von uns jubelt. Sie macht einen oder zwei Besuche in der Kabine, es gibt jeweils ein Riesengedränge von Sicherheitsleuten, Entourage und den sonstigen Anwesenden.
    Besser lerne ich Angela Merkel kennen, als sie die Mannschaft während der WM zum Essen ins Kanzleramt einlädt. Oliver Bierhoff lässt einen Zettel kursieren, auf dem sich alle, die Lust dazu haben, eintragen dürfen. Ich melde mich sofort.
    Angela Merkel empfängt uns an einem milden, warmen Abend auf der Terrasse des Kanzleramts. Prächtiger Blick über die Spree und das Regierungsviertel. Acht Spieler sind gekommen und zwei Betreuer. Es gibt Backhendl und Kartoffelsalat.
    Frau Merkel ist extrem entspannt. Es sind weder Journalisten noch Fotografen da. Sie sagt, dass sie sich so bei uns bedanken möchte, für die Freude, die wir Deutschland während der WM gemacht haben. Damit ist der offizielle Teil der Veranstaltung abgehakt. Dann möchte sich die Kanzlerin über Fußball unterhalten.
    Wir sitzen alle an einem größeren Tisch, und die Bundeskanzlerin stellt Fragen. Sie will über die Hintergründe unseres Berufs Bescheid wissen. Wie ein Profi zum Profi wird, wie sein
    Alltag aussieht, wie er sich aus Formkrisen rettet, welchen Einfluss Trainer haben, wer die Taktik für ein Spiel festlegt.
    Wir antworten frei von der Leber weg. Es wird viel gelacht. Die Kanzlerin amüsiert sich, das Gespräch verläuft so freundschaftlich, als ob wir uns schon lange kennen würden.
    Im Lauf des Abends beginnen wir, die Kanzlerin zu befragen, zum Beispiel zum Thema Sicherheit. Sie erzählt, wie viele

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