Der feine Unterschied
fußballerischen Fähigkeiten und sozialen Kompetenz gebraucht, nicht aufgrund seiner Familiengeschichte - das wäre doch eine Formel für Integration, auf die man sich einigen könnte.
Als uns nach der WM 2010 so viele Sympathien zufliegen, weil unsere Mannschaft so multikultimäßig rübergekommen ist, müssen wir uns erst darüber klar werden, was das überhaupt bedeuten soll. Wir untereinander machen diese Unterschiede nicht. Mesut Özil ist für uns ein super Mittelfeldspieler, und ob seine Großeltern in der Türkei aufwuchsen, ist dafür uninteressant. Sami Khedira ist ein großartiger Sechser. Was hat das damit zu tun, dass sein Vater aus Tunesien stammt? Und wenn Miro Klose und Lukas Podolski gerne polnisch miteinander sprechen - sollen sie. Basti Schweinsteiger und ich können auch gut Bayrisch. So ist das moderne Deutschland, und das ist auch gut so.
Mir selbst kommt viel logischer vor, dass die deutsche Nationalmannschaft dafür gemocht wird, wie sie Fußball spielt. Schnell und attraktiv, unkonventionell und überraschend. Ein junges Team. Ein Team, das sich mag und diese Harmonie auch ausstrahlt. Eine gemeinsame Sprache im Denken und Handeln auf dem Platz. Wenn das ein Beispiel für gelungene Integration ist, einverstanden.
10. Kapitel
PHILIPP, DU MUSST WAS UNTERNEHMEN
Die Geschichte der Philipp-Lahm-Stiftung
Reise nach Afrika — zu große Kontraste — Busisiwes geraubte Kindheit — die Pflicht, etwas zu tun — die Stiftung — Schuhe für Bokoji — Shongi Soccer — Fußball in Philippi — Mädchen an den Ball — das Sommercamp
Im Sommer 2007 fliege ich nach Südafrika. Ich möchte einen Eindruck von dem Land bekommen, in dem in drei Jahren die Fußball-WM stattfindet.
Mit mir im Flieger sitzen Piotr Trochowski, ein Kollege aus der Bayern-Jugend, der zu dieser Zeit beim HSV und mit mir in der Nationalmannschaft spielt, Roman Grill, mein Berater, und einige Kollegen aus der Agentur, die mir geholfen haben, die Reise zu organisieren.
Wir wollen diesmal anders reisen als sonst, wenn wir mit der Mannschaft unterwegs sind, denn da steht immer das nächste Spiel im Mittelpunkt: wann angepfiffen wird, wann wir fliegen, wo das Hotel steht, wann wir essen, wann wir schlafen.
Das hat einen paradoxen Effekt: zwar reisen wir so viel wie die Manager von globalisierten Konzernen, aber wir sehen immer nur Hotels, Flughäfen und Stadien. Manchmal stellen wir nicht einmal die Uhr um, zum Beispiel bei einer Reise nach Kasachstan, wo das Spiel abends um zehn stattfindet, bei uns wäre es sieben Uhr. Wir tun einfach so, als wären wir zu Hause, schla-fen bis zwölf, frühstücken um eins und spielen abends um zehn Fußball, dabei haben wir das Gefühl, es sei acht, neun oder sieben Uhr abends. Es kommt oft genug vor, dass man nach einer mehrtägigen Reise keine Ahnung hat, aus welchem Land man gerade zurückgekommen ist.
Deshalb nehmen wir uns jetzt im Urlaub Zeit, um Südafrika ein bisschen kennenzulernen.
Zuerst besuchen wir ein S.O.S.-Kinderdorf in Ennerdale, dreißig Kilometer südlich von Johannesburg. Hier leben 160 Kinder. Es gibt eine Kindertagesstätte, Gruppenräume, einen Spielplatz, Betreuer, die sich liebevoll um die Kinder kümmern.
Als wir in die benachbarten Townships spazieren, ein Schock. Die Zustände, unter denen die Menschen hier leben, spotten jeder Beschreibung. Winzige Hütten ohne jede sanitäre Einrichtung, in denen auf engstem Raum ganze Familien leben, von den Großeltern bis zu den Kleinsten. Während ich noch gar nicht fassen kann, unter welchen Umständen Menschen leben müssen, während ich zutiefst bewegt und beschämt bin, werden wir an jeder Ecke wie selbstverständlich mit größter Herzlichkeit empfangen. Wer seid ihr? Was macht ihr hier? Wollt ihr was trinken?
Die Freundlichkeit der Menschen bewegt mich, und gleichzeitig steigt Beklemmung in mir auf, ausgelöst durch die extremen Kontraste. Auf der anderen Seite der Straße, in unmittelbarer Nachbarschaft der winzigen Hütten, in denen wir gerade Hände schütteln und uns so gut wir können mit den Bewohnern unterhalten, stehen riesige Villen, von denen man nur sieht, wie groß sie sind, weil sie von meterhohen Mauern umgeben sind, befestigt wie ein Gefängnis.
Eine Begegnung bringt mich schließlich völlig aus dem Konzept. In Swasiland lerne ich Busisiwe kennen. Ihr Name be-deutet auf Zulu: »Die Gesegnete«. Sie zieht ihre zwei kleinen Geschwister groß. Ihre Eltern sind tot. Aids. Ihre Onkel und Tanten sind
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