Der feine Unterschied
ausgerechnet unserem Innenverteidiger Arne Friedrich, der mit nach vorn gegangen ist, und Arne erzielt ausgerechnet im WM-Viertelfinale sein erstes Länderspieltor — ein Tor, wie man es sich nie und nimmer ausdenken kann, aber auch das ist eine Stärke dieser Mannschaft. Sie lässt sich von ihrer taktischen Grundausrichtung nicht fesseln, sie agiert unbekümmert und verantwortungsvoll und ideenreich zugleich.
Drei Minuten vor Schluss schließlich der Paukenschlag, mit dem wir ins Fußballparadies gerufen werden: mit dem besten kalkulierten Konter, der uns in diesem Spiel gelingt, mit unserer schärfsten Waffe, machen wir das 4:0, wunderschöner Pass von Özil, knochentrockener Abschluss von Miro Klose, der sich anschließend sogar den Luxus eines Saltos leistet, wie er ihn in jungen Jahren immer nach Toren gezeigt hat.
Vier.
Zu.
Null.
Ich muss mir das Ergebnis immer wieder buchstabieren, damit ich es wirklich glauben kann. 4:0 gegen Argentinien, gegen den großen Favoriten dieser WM. Wie geil ist das denn ...
Auf den Tribünen jubeln jetzt alle. Die argentinischen Fans sind längst verstummt, und die afrikanischen, die bei Anpfiff noch unentschieden waren, sind in unser Lager übergelaufen. Jetzt kann der Schiedsrichter ruhig abpfeifen. Jetzt auf die Ehrenrunde gehen und genießen, was uns gerade gelungen ist.
Diego Maradona am Spielfeldrand, das Gesicht mit dem Salz-und-Pfeffer-Bart zu einer dramatischen Grimasse verzogen. Kaum möglich, dass er diese Schlappe als Teamchef überleben wird.
Irgendwer hat mich gefragt, ob man in solchen Situationen auch eine Spur Mitleid mit dem Gegner spürt. Wie bitte? Mitleid wäre in diesem Moment total falsch am Platz. Fußball funktioniert eben so, und nach einem glänzenden Ergebnis in einem so wichtigen Spiel ist einzig und allein Freude angesagt, herzliche Freude darüber, dass wir es geschafft haben, zwei große Fußballnationen großartig zu besiegen und ins Halbfinale der WM aufzusteigen.
In der Kabine ist es heute lustiger als sonst, aber dann müssen wir uns auch schon sputen, erst der Bundeskanzlerin die Hand schütteln, die für dieses Spiel extra aus Deutschland eingeflogen ist, dann in den Bus zum Flughafen, mit unserer Chartermaschine zurück nach Pretoria, wo wir eine halbe Stunde von der Stadt entfernt in einem gut bewachten Hotelkomplex wohnen. Im Hotel Velmore gibt es noch Abendessen, und während wir uns Steaks und Pasta vom Buffet holen, ist schon klar, dass unser Gegner im Halbfinale wie erwartet Spanien sein wird.
Der nächste Kracher. Spanien hat Paraguay in einer mühevollen Partie mit 1:0 besiegt. Wir bekommen also die Chance, uns für das verlorene EM-Finale in Wien zu revanchieren.
Nach dem Essen löst sich die Mannschaft auf. Manche Spieler gehen aufs Zimmer, um Playstation zu spielen, manche setzen sich vor den Fernseher und ziehen sich noch mal die besten Szenen unseres Spiels rein, ein paar sitzen draußen auf der Terrasse und ratschen.
Wenn geratscht wird, bin ich dabei. Ich trinke dann gern noch ein Glas Bier, kann sein, dass dann auch noch die Karten ausgepackt werden und wir schafkopfen oder pokern.
Es ist praktisch unmöglich, nach einem wichtigen Spiel zu einer normalen Zeit einzuschlafen. Selbst wenn ich nach einem Champions-League-Spiel um halb eins im Bett bin, wird es mindestens drei, bis ich endlich einschlafen kann, auch wenn ich müde bin, wenn mir die Beine wehtun, aber der Adrenalinspiegel im Blut ist zu hoch, keine Chance, zur Ruhe zu kommen. Da bleib ich lieber wach und hab Spaß mit den Kameraden, bis sich irgendwann im Morgengrauen die nötige Bettschwere einstellt.
Wir bereiten uns auf Spanien vor wie auf Argentinien. Das ist freilich nicht ganz so einfach. Während die Argentinier Stars, aber kein System hatten, ist bei den Spaniern das System der Star. Seit Jahren spielt diese Nationalmannschaft auf höchstem Niveau ein dominantes System mit viel Ballbesitz und kurzen, flachen Bällen. Die Mitglieder der Mannschaft sind allesamt grandiose Techniker, und sie haben ihr System verinnerlicht. Ich bin sicher, Xavi, Iniesta und Kollegen können sogar im Schlaf den Ball mit einem Kontakt hin und her spielen.
Thomas Müller wird das Halbfinale nicht mitmachen. Er hat nach seiner zweiten gelben Karte gegen Argentinien eine Sperre für ein Spiel kassiert. Das ist ärgerlich, weil er die Karte wegen eines blöden Handspiels sah, und es ist bitter für uns, weil Thomas in bester Verfassung ist und mit seinem
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