Der feine Unterschied
Fassung zu bringen, möchte ich mir gar nicht vorstellen - aber ich weiß, dass er darunter leiden würde, und in der Folge seine ganze Mannschaft.
Es klingt vielleicht nicht besonders mutig und visionär, aber es ist realistisch: Ich würde keinem schwulen Profifußballer raten, sich zu outen. Ich hätte Angst, dass es ihm gehen könnte wie dem englischen Profi Justin Fashanu, der sich nach seinem Outing so in die Enge getrieben fühlte, dass er schließlich Selbstmord beging.
Prominenz ist ein unscharfer Begriff Mir ist klar, dass ein Fußballer, der Woche für Woche vor Zehntausenden Menschen spielt, der im Fernsehen auftritt und über den fünf Mal die Woche etwas in der Zeitung steht, als prominent gelten muss. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben.
Ich bemerkte das in meiner Zeit in Stuttgart, als ich als 19-Jähriger Profi meine ersten Einsätze beim VfB hatte. Es waren die Blicke, die mir zugeworfen wurden, wenn ich mir im Supermarkt Weißwürste in den Einkaufswagen legte; wenn ich mir an der Tankstelle beim Bezahlen noch eine Cola mitnahm; wenn ich abends in der Pizzeria saß. Isst der tatsächlich eine Pizza mit Thunfisch, fragte der Blick. Ja, soll ich denn gar nichts essen?
Bis dahin war mir ja bloß von Fußballfans auf die Schulter geklopft worden, die Freude daran hatten, dass der VfB und seine Jungs so gut unterwegs waren. Das hatte ich noch schön gefunden, und ich finde es immer noch schön, wenn sich Menschen hinter meine Mannschaft stellen.
Aber die eigene Wahrnehmung verändert sich schnell. Man lernt, prominent zu sein. Man weiß, dass man nicht mehr nachmittags in die Stadt gehen kann, um ein T-Shirt zu kaufen, ohne dass man erkannt wird. Man gewöhnt sich daran, dass überall, wo man hingeht, Blicke sind. Blicke, die dich abtasten, die wissen wollen, ob du’s wirklich bist, die eine Chance wittern, zu erfahren, wie du so auftrittst, wenn du nicht auf dem Platz stehst.
Damit muss man umzugehen lernen. Immer möglichst freundlich sein. Niemanden enttäuschen. Am besten immer ein nettes Lächeln auf den Lippen und aufmerksam für alles, was um dich herum passiert. Niemals mit schlechter Laune an die Luft.
Denn die Menschen wollen dich so haben, wie sie dich aus dem Fernsehen kennen. Den Jungen von nebenan. Den jungen Kerl mit seiner natürlichen Ausstrahlung. Niemand macht sich Gedanken darüber, dass der Junge von nebenan längst nicht mehr der ist, der er war, als er nebenan gewohnt hat. Dass es ganz schön schwierig ist, immer gut gelaunt zu sein. Und dass eine Welt, die aus lauernden Blicken besteht, eine ziemliche Herausforderung sein kann.
Als ich aus Stuttgart nach München zurückkehre, nehme ich mir eine Wohnung am Gärtnerplatz. Viele Cafés, perfekte Stadtlage. Ich mag es, wenn rundherum etwas los ist. Ich mag München, und ich genieße das Stadtleben - soweit es zu meinem Alltag als Profi passt. Denn eines ist klar: um so gut Fußball spielen zu können, wie ich möchte, brauche ich vor allem meinen Schlaf. Ich schlafe neun Stunden pro Tag, im Urlaub manchmal noch mehr.
Um den Gärtnerplatz treiben sich junge, aufgeweckte Leute herum. Die Stimmung gefällt mir. Ich - der Junge aus Gern, der bis dahin bei den Eltern gewohnt hat - fühle mich ausgesprochen wohl. Aber das ändert sich schlagartig.
Eines Tages läutet es an der Tür. Ich denke, dass es ein Kumpel ist, denn nur ganz wenige Leute kennen meine Adresse, und mein Name steht weder an der Eingangs- noch an der Wohnungstür. Ich mache die Tür auf. Draußen steht ein Typ, den ich noch nie gesehen habe.
»Ja bitte?«, sage ich verwundert.
Aber der Kerl sagt gar nichts. Er schaut mich nur mit großen Augen an, als würde er eine Erscheinung betrachten.
»Was wollen Sie?«, frage ich noch einmal. Ein merkwürdiges Gefühl befällt mich. Der Typ ist mir nicht ganz geheuer. Er ist ganz stumm und starrt mich nur an.
Dann will er etwas sagen, aber er bringt den Satz nicht heraus. Stattdessen drückt er mir einen Brief in die Hand. Ich sehe, dass der Typ ganz feuchte Augen hat. Dann probiert er es noch einmal, und dann steht dieser Satz in meinem Vorzimmer: »Philipp, ich hab mich so in dich verliebt. Darf ich reinkommen?«
Neeeein. Ich schmeiße die Tür zu und drehe den Schlüssel um. Mein Herz klopft heftig. »Gehen Sie weg«, sage ich durch die geschlossene Tür, »oder ich hole sofort die Polizei.«
Durch den Türspion sehe ich, wie der Kerl ungläubig auf meine Eingangstür starrt, offenbar unschlüssig, was
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