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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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gefangengenommen. Obwohl er eigentlich dazu neigte, ihn festzuhalten, ließ sich der Schwarze Prinz von Bertrands höhnischer Bemerkung, »er habe Angst«, ihn freizulassen, beeindrucken und stimmte einer Auslösung gegen den stolzen Preis von 100 000 Franken zu.
    Für Frankreich hatte auch diese Niederlage einen Vorteil: Nur zerschlagene Häuflein der Kompanien kehrten in die Heimat zurück. Eine weitere Erleichterung von der Brigantenplage brachte der Tod der Banditenführer Seguin de Badefol und des »Erzpriesters« – der erste wurde von Karl von Navarra bei einem Festessen vergiftet, damit er ihm den Sold nicht zu zahlen brauchte, und der zweite wurde von seinen eigenen Leuten erschlagen. Die Atempause war aber auch nur von kurzer Dauer. Als Peter, wie vorausgesehen, seine Schulden nicht bezahlen konnte, schickte der Schwarze Prinz seine wütenden, aufrührerischen anglo-gasconischen Truppen nach Frankreich und »ermutigte sie unter der Hand«, sich dort durch Plünderungen zu entschädigen. In kleinen Gruppen, aber tapfer und kriegserprobt, zogen sie in die Champagne und die Picardie, »wo sie so viel Schaden anrichteten und so viel Böses taten, daß sie große Unruhe stifteten«. [Ref 189]
    Für den Prinzen wurde der Lorbeer des Siegs bald bitter; Najera war der Höhepunkt, auf den ihn das Schicksalsrad trug, von nun an ging es bergab. Sein Stolz stieß die Gasconen ab, denn »für ihn war ein Ritter keinen Knopf wert noch ein Bürger oder die Frau eines Bürgers noch das gemeine Volk«. Als er die Last von Peters Schulden in Form von Haushaltssteuern 1367/68 auf das Volk von Aquitanien abzuwälzen versuchte, rebellierten die gasconischen Adligen und eröffneten Verhandlungen mit Karl V. um die Rückkehr in eine französische Allianz. Damit hatte der französische König einen Grund und ein Mittel in der Hand, den Vertrag von Brétigny ungültig zu machen.

KAPITEL 11
Das vergoldete Leichentuch
    D as war das Frankreich, in das Coucy 1367 zurückkehrte. Aus seinen Maßnahmen im folgenden Jahr spricht, daß auch sein Land unter dem Arbeitskräftemangel litt, der die Grundherren seit dem Schwarzen Tod überall plagte. Die Picardie, von Beginn an Korridor englischer Invasionen, hatte nicht nur unter den durchziehenden Armeen, sondern auch unter der Jacquerie und den Verwüstungen durch die navarresischen Truppen gelitten. Überdies waren viele Bauern in das benachbarte Hainault und über die Maas geflüchtet, um den Steuererhöhungen nach den französischen Niederlagen zu entgehen.
    Um Arbeitskräfte im Land zu halten, befreite Coucy die Leibeigenen oder unfreien Bauern und Dorfbewohner seiner Besitzungen. Aus »Haß auf die Leibeigenschaft«, erkannte er in einem Erlaß an, hatten die Bauern das Land verlassen, »um außerhalb unseres Besitzes zu leben, an bestimmten Orten, wo sie sich ohne unsere Erlaubnis selbst zu Freien erklärten«. (Ein Leibeigener, dem es gelang, das Land und den Machtbereich seines Herrn zu verlassen, und der ein Jahr woanders siedelte, galt als frei.) Mit Ausnahme eines Freibriefs für den Ort Coucy-le-Château von 1197 hatte es vorher auf Coucys Land keine Befreiung von der Leibeigenschaft gegeben, vielleicht aufgrund der Wohlhabenheit des Besitzers. Coucys Freibrief von 1368 [Ref 190] kam spät, denn schon vor dem Schwarzen Tod waren die freien Bauern gegenüber den Leibeigenen in Frankreich in der Mehrheit. Die Abschaffung der Leibeigenschaft ging weniger auf moralische Gründe als auf finanzielle Überlegungen zurück, denn nur ein freies Bauerntum konnte mit Pacht belegt werden und versprach ein höheres Steueraufkommen. Bezahlte
Arbeit durch Pächter war zwar teurer als die unbezahlten Dienste der Leibeigenen, aber diese Ausgaben wurden durch Pachteinnahmen mehr als aufgewogen. Außerdem brauchten Pachtbauern während der Arbeiten für den Herrn nicht verpflegt zu werden, was ebenfalls eine finanzielle Belastung gewesen war.
    Im allgemeinen hatten die Grundherren, vor allem die kleineren mit weniger einträglichen Besitzungen, ökonomisch unter den Katastrophen der letzten zwanzig Jahre mehr gelitten als die Bauernschaft. Arbeitskräfte, die während der Seuche starben, konnten nicht ersetzt werden, da freie Bauern nicht in Leibeigene zurückverwandelt werden durften. Mühlen, Scheunen, Brauereien, Getreidespeicher mußten auf Kosten der Besitzer wiederhergestellt werden. Die Kosten für Lösegelder und das Leben als Gefangener im Laufe von zwei Jahrzehnten meist verlorener

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