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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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ignorierte, wo er sich der Anklage der Ausschweifung, der Grausamkeit und des » diabolischen Hasses« auf die Kirche stellen sollte, exkommunizierte ihn Urban V. als Ketzer und rief die Christenheit in einer jener fruchtlosen Gesten des 14. Jahrhunderts zum Kreuzzug gegen ihn auf. Die Italiener, die das avignonesische Papsttum wegen seiner Weltlichkeit haßten und in Urban nicht mehr als ein französisches Werkzeug sahen, beachteten den Aufruf nicht.
    Papst Urban V. stammte aus der adligen Familie de Grimoard aus Languedoc. Er war ein Mann von ehrlicher Frömmigkeit, ein ehemaliger Benediktiner, der sich ernstlich bemühte, dem Heiligen Stuhl Glaubwürdigkeit und Ansehen zurückzugeben. Er hob die Anforderungen der Priesterausbildung an, ergriff strenge Maßnahmen gegen Simonie und Sittenverfall in der Geistlichkeit, verbot das Tragen von spitzen Schuhen in der Kurie und machte sich durch seine Reformbemühungen beim Kardinalskollegium unbeliebt. Er selbst war nicht Kardinal gewesen, sondern wurde als einfacher Abt von St. Victor in Marseille zum Papst gewählt. Seine Erhöhung an den Ansprüchen höherrangiger Kirchenfürsten vorbei war nur möglich gewesen, weil die Kardinäle, unter ihnen der ehrgeizige Talleyrand de Périgord, sich nicht auf einen der ihrigen einigen konnten, aber die Öffentlichkeit sah in seiner überraschenden Ernennung das Wirken Gottes. Nach Petrarca, der hier wieder einmal sein Lieblingsthema verfolgte, hatte allein der Heilige Geist Männer wie die Kardinäle dazu bringen können, ihre Eifersüchteleien und Egoismen zu unterdrücken und einen Außenseiter zu wählen, der, wie Petrarca glaubte, das Papsttum nach Rom zurückbringen würde. [Ref 206]

    Dies zu tun beabsichtigte Urban auch, sobald er das weltliche Erbe des heiligen Petrus wieder fest im Griff haben würde. Unter den Frommen in aller Welt war die Sehnsucht nach einer Rückkehr des Papstes nach Rom zugleich die Sehnsucht nach einer Läuterung der Kirche. Der Papst mag dieses Gefühl geteilt haben, zugleich aber erkannte er auch, daß die Rückkehr der einzige Weg war, die weltliche Grundlage des Heiligen Stuhls zu erhalten, und er wußte auch, daß es notwendig war, das zu beenden, was ganz Europa als die französische Beherrschung des Papsttums ansah. Es war klar, daß je länger der Papst in Avignon blieb, desto schwächer würde seine Autorität und desto geringer sein Ansehen in Italien und England sein. Gegen die wütenden Proteste der Kardinäle und den Widerstand des französischen Königs entschloß sich Urban zur Rückführung des Papsttums nach Rom. [Ref 207]
    Bernabò war nicht der einzige Feind der Priester in Italien. Francesco Ordelaffi, der Despot von Forli, reagierte auf seine Exkommunikation mit der Verbrennung von Strohpuppen, die wie Kardinäle gekleidet waren, auf dem Marktplatz. Sogar Florenz, obwohl mit dem Papsttum verbündet, war an sich antiklerikal und antipapistisch. Der Florentiner Chronist Franco Sacchetti entschuldigte die bösartige Verstümmelung eines Priesters durch Ordelaffi damit, daß der Despot nicht aus Habgier gehandelt habe und daß es für die Gesellschaft nicht schlecht wäre, wenn alle Priester so behandelt würden.
    In England sagte ein Sprichwort: »Der Papst ist französisch geworden und Jesus ein Engländer.« Ressentiments gegen den Papst wuchsen in England, angeheizt durch die Besetzung englischer Kirchenämter mit Ausländern, was zur Folge hatte, daß viel englisches Geld außer Landes floß. Die wachsende geistige Unabhängigkeit vom Papsttum war bereits eine, wenn auch unbewußte, Entwicklung auf die Kirche von England zu.
    Im April 1367 setzte Urban den großen Umzug durch. Unter dem Wutgeheul der Kardinäle, die nach einer Chronik laut ausriefen: »O böser Papst! O gottloser Bruder! Wohin verschleppt er seine Söhne?«, segelte er von Marseille aus nach Rom. Nur fünf aus dem Kardinalskollegium begleiteten ihn, die anderen waren nicht bereit, den Luxus von Avignon gegen die Unsicherheit und
den Verfall in Rom einzutauschen. Der größere Teil des gewaltigen Verwaltungsapparates der Kirche blieb zunächst in Avignon.
    Urban landete zuerst bei Livorno, wo ihm Giovanni Agnello, der Doge von Pisa, begleitet von Sir John Hawkwood und tausend seiner Reisigen in ihren glitzernden Panzern, entgegentrat. Der Papst erschrak bei dem Anblick und weigerte sich, an Land zu gehen. Es war kein günstiges Omen für die Rückkehr in die Ewige Stadt.
    Der böse Geist des 14. Jahrhunderts

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