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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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Erbschaftssache aufgesucht haben mag. Froissart schrieb später, daß Coucy seine Rechte »oftmals« beim Kaiser eingeklagt habe, der ihm in der Sache zugestimmt, aber seine Unfähigkeit eingestanden habe, »jene von Österreich zu zügeln, denn sie waren stark in seinem Reich mit vielen guten Soldaten«.
    Nach einer 22monatigen dokumentarischen Lücke weist der nächste Beleg nach Savoyen, wo er von November 1371 an auf der Seite des »grünen Grafen«, seines Vetters, gegen den unerschöpflichen Vorrat an Feinden dieses Edelmannes focht. 1372 /73 kämpften beide zusammen in den Diensten des Papstes gegen die Visconti.
     
    Seit dem Untergang des Römischen Reiches war Italien ein machtloses Land, dessen kultureller Reichtum im Gegensatz zu seinem politischen Chaos stand. Italiens Städte standen in einer hohen Blüte der Kunst und des Kommerzes, die Landwirtschaft war fortgeschrittener als irgendwo sonst, die Banken hatten enormes Kapital akkumuliert und besaßen praktisch das Finanzmonopol in Europa, aber die unablässigen Fraktionskämpfe und der zerstörerische Konflikt zwischen Papst und Reich, zwischen Guelfen und Ghibellinen, trieben Italien in seiner Sehnsucht nach Ordnung einem Zeitalter der Despoten in die Arme. Stadtstaaten, die einst die Geburtsstätte republikanischer Selbständigkeit gewesen waren, unterwarfen sich den Can Grandes, den Malatestas, den Visconti, die ohne Titel, aber kraftvoll regierten. In seiner Servilität vor Tyrannen – Ausnahmen waren nur Venedig mit seiner unabhängigen Oligarchie und Florenz mit der Signoria – wurde Italien von Dante mal mit einem Sklaven, mal mit einem Bordell verglichen. Kein
Volk redete mehr über die Einheit und die Nation und war weiter von beidem entfernt.
    Aufgrund dieser Verhältnisse fanden fremde condottieri ein reiches Betätigungsfeld in Italien. Frei von jeder Loyalität entfesselten und führten sie Kriege lediglich zu ihrem eigenen Nutzen, verlängerten sie, solange es ging, während die unglückliche Bevölkerung die Folgen zu tragen hatte. Kaufleute und Pilger waren gezwungen, mit bewaffneten Wachen zu reisen. Stadttore schlossen sich bei Nacht. Der Abt eines Klosters in der Nähe von Siena sah sich gezwungen, »aus Furcht vor den Kompanien« zwei- oder dreimal im Jahr den ganzen Besitz des Klosters hinter feste Stadtmauern zu bringen. [Ref 205]
    Aber auch wenn die Straßen das Reich der Gesetzlosen sind und Überfälle zum Alltag gehören, ist das normale Leben unvergänglich wie Unkraut. Die großen maritimen Republiken Venedig und Genua brachten Europa mit ihren Frachtschiffen den Reichtum des Ostens, das unsichtbare Netzwerk der Banken summte vor Geschäftigkeit, die Weber von Florenz, die Waffenschmiede von Mailand, die Glasbläser von Venedig und die Kunsthandwerker der Toskana gingen unter den roten Ziegeldächern ihrer Häuser unbeirrt ihrer Tätigkeit nach.
    Das Zentrum der italienischen Politik in der Mitte des 14. Jahrhunderts war der verzweifelte Versuch des avignonesischen Papsttums, seine weltliche Basis, die päpstlichen Staaten, unter Kontrolle zu halten. Diesen Gürtel von Staaten in Mittelitalien vom Ausland her zu regieren war im Grunde unmöglich. Die Anstrengungen des Papstes, den Besitz des Heiligen Stuhls zusammenzuhalten, brachten eine ganze Serie von erbitterten Kriegen über das Land; Blutvergießen und Massaker, ausbeuterische Besteuerung, fremde, verhaßte Gouverneure und eine ständig wachsende Feindseligkeit gegen das Papsttum in seinem Heimatland waren die Folge.
    In dem Versuch, die päpstlichen Staaten zurückzuerobern, mußte der Heilige Stuhl unvermeidlich mit der Expansion Mailands unter den Visconti in Konflikt geraten. Die Visconti hatten 1350 Bologna, ein päpstliches Lehen, unter ihre Kontrolle gebracht, und sie drohten, die dominierende Kraft in Italien zu werden. Als es
der päpstlichen Streitmacht gelang, Bologna zurückzuerobern, zwang Bernabò Visconti in einem Anfall epischen Zorns einen Priester, den kirchlichen Bannfluch gegen den Papst von einem Turm herab zu verkünden. Er weigerte sich von nun an, die päpstliche Autorität in irgendeiner Form anzuerkennen, beschlagnahmte kirchliches Eigentum, zwang den Erzbischof von Mailand, vor ihm niederzuknien, verbot seinen Untertanen, den Zehnten zu zahlen, Vergebung zu erbitten oder in irgendeiner anderen Weise mit der Kurie zu verkehren, er zerriß Botschaften des Papstes an ihn und trampelte auf ihnen herum. Als er eine Vorladung nach Avignon

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