Der ferne Spiegel
Goldstoff, dem in glänzenden Farben sein Wappen und das seiner Frau aufgestickt waren.
Der Adel des ganzen Landes ritt in strahlenden Farben, glockenbehängt und auf reichgeschmückten Pferden in Gent ein, um an der Hochzeit teilzunehmen. »Vor allen«, berichtet Froissart, »war der gute Sire de Coucy da, der bei dem Fest den größten Eindruck machte und besser als alle anderen wußte, wie man sich zu benehmen hat; und deshalb hat ihn der König gesandt.« Steinchen für Steinchen setzte sich das Mosaik zu einer auffallenden Gestalt zusammen, zu einem Mann, der in Auftreten und Erscheinung seine Adelsgenossen überragte. [Ref 200]
Die Summen, die die Reichen bei Gelegenheiten wie diesen verschwendeten, muten in einer Epoche wiederholter Katastrophen unerklärlich an, sowohl was das Motiv solchen Prunks als auch was die Herkunft der Mittel betrifft. Woher, mitten in Ruin und Verfall und unter verringerten Steuereinnahmen aus entvölkerten Besitzungen und Städten, kam das Geld, das den Luxus möglich machte? Einerseits war das Münzgeld in den Zeiten der Pest härter als das menschliche Leben; es verschwand nicht, und wenn es von Briganten geraubt wurde, kam es auch auf diese Weise wieder in Umlauf. Da die Bevölkerung reduziert war, erhöhte sich der Anteil einzelner am Geldaufkommen. Wahrscheinlich war auch die Produktivkraft trotz der gewaltigen Todesrate der Seuche nur wenig eingeschränkt, da ein so großer Anteil der Bevölkerung am Anfang des Jahrhunderts überschüssig gewesen war. Für die überlebenden Reichen mag die Seuche sogar einen Anstieg ihres Reichtums und der verfügbaren Dienerschaft gebracht haben.
Prachtentfaltung, die dazu diente, den Ruf des Herrschers zu steigern und die Bewunderung und Ehrfurcht der Bevölkerung zu erregen, war eine traditionelle Eigenart der Fürsten. Aber nun in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts wuchs sie ins Extrem, so als sollte der Pomp der Unsicherheit des Lebens in dieser Zeit trotzen. Auffällige Verschwendung wurde zu einem hektischen Exzeß,
sie war wie ein vergoldetes Leichentuch über dem Schwarzen Tod und über verlorenen Schlachten, eine verzweifelte Sehnsucht, sich selbst sein Glück in einer Zeit wachsenden Unglücks zu beweisen.
Das Gefühl, in einer vom Unheil geschlagenen Zeit zu leben, drückte sich in der Kunst auch dadurch aus, daß die menschlichen Gefühle in individueller Betonung dargestellt wurden. Die Heilige Jungfrau blickte mit größerer Trauer auf das Schicksal ihres Sohnes; in dem Altarbild von Narbonne, das zu dieser Zeit entstand, fällt sie ohnmächtig in die Arme ihrer Begleitung. In einer anderen Version, gemalt vom Meister von Rohan, konzentriert sich das verständnislose Leiden der Menschheit im Antlitz des Apostels Johannes, der die in Ohnmacht fallende Mutter am Fuß des Kreuzes stützt und kummervolle Augen gen Himmel wendet, als wollte er fragen: »Wie konntest Du dies geschehen lassen?«
Boccaccio spürte die heraufziehenden Schatten und wandte sich von dem launigen, lebensvollen Decameron ab und einer bitteren Satire auf die Frauen, Il Corbaccio (Die Krähe), zu. Hier erscheint die Frau, das Entzücken seiner früheren Erzählungen, als eine gierige Harpyie, die nur auf Kleider und Liebhaber aus ist, in ihrer Lüsternheit auch bereit, sich mit einem Diener oder einem schwarzen Äthiopier einzulassen. Nach der Krähe schrieb er über ein weiteres deprimierendes Thema: den Fall großer Gestalten der Weltgeschichte, die durch Stolz und Wahn Glück und Glanz verloren und im Elend endeten.
»So sind die Zeiten, mein Freund, in die wir gefallen sind«, stimmte Petrarca 1366 in einem Brief an Boccaccio zu. Die Erde, schrieb er, »ist vielleicht von wahren Menschen entblößt, aber sie war nie von Lastern und den Geschöpfen des Lasters dichter bevölkert«. [Ref 201]
Der Pessimismus war dem Mittelalter ein geläufiger Ton, denn der Mensch galt als zum Unheil geboren und der Erlösung bedürftig, aber dieser Ton wurde jetzt, in der zweiten Jahrhunderthälfte, dringlicher, und die Spekulationen über das Kommen des Antichrist wurden intensiver. Vermehrt sprachen Menschen, die die Zeichen der Zeit deuteten, von der Ankunft »letzter Dinge«. Das Ende wurde in Furcht und auch in Hoffnung erwartet, denn
der Antichrist würde schließlich bei Armageddon besiegt, und sein Untergang leitete ein neues Zeitalter ein, die Herrschaft Christi.
KAPITEL 12
Doppelallianz
A ls die Spannungen zwischen Frankreich und England sich
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