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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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»vollkommenen Glauben« nahm Jesus sie zur Braut, und die beiden wurden in einer Zeremonie vereinigt, die die Heilige Mutter Gottes vollzog und an der der heilige Johannes, der heilige Paulus und der heilige Dominikus bei untermalender Musik von Davids Harfe teilnahmen.
    Als ein drittgradiges oder nicht an den Konvent gebundenes Mitglied des Dominikanerordens warf sich Katharina auf die Pflege der leidenden Menschheit, suchte die Gefangenen in den Kerkern auf, die Armen und die Kranken, kümmerte sich um die Seuchenopfer von 1374. Zwei ihrer Pflegekinder, acht ihrer Nichten und Neffen starben in dieser Epidemie. In einem extremen Moment der Hingabe saugte sie mit den Lippen den Eiter aus einem Krebsgeschwür eines Krankenhauspatienten, so als wollte sie den direkten Kontakt mit den Wunden Christi, den die Mystiker als die Quelle spiritueller Erfahrung feierten, nachvollziehen. [Ref 256]
    Nach den Worten des deutschen Mystikers Johannes Tauler, der ein Zeitgenosse Katharinas war, sollte der Gläubige »seinen Mund an die Wunden des Gekreuzigten drücken«. Das Blut, das aus diesen Wunden floß, den Wunden der Dornen, der Geißelung, wurde für die religiösen Eiferer zur Besessenheit. Es war gleichbedeutend mit der Erlösung, dieses Blut zu trinken, die Seele mit ihm zu waschen. Tauler verharrte in Gedanken so lange und so ausführlich bei diesem Gegenstand, daß er schließlich glaubte, er sei beim Leiden Christi zugegen gewesen. Er berechnete die Zahl der Geißelschläge und glaubte zu wissen, daß Jesus so fest an eine Säule gebunden gewesen war, daß das Blut unter seinen Fingernägeln herausgedrückt wurde; daß er zunächst auf den Rücken und dann auf die Brust geschlagen wurde, bis er nur noch eine einzige Wunde war. Die heilige Birgitta sah in ihren Offenbarungen seine blutigen Fußabdrücke und daß, als ihm die Dornenkrone aufs Haupt gedrückt
wurde, »seine Augen, seine Ohren, sein Bart voller Blut waren; sein Kinn war ausgerenkt, sein Mund offen, seine Zunge angeschwollen vor Blut. Sein Bauch war so weit eingezogen, daß er das Rückgrat berührte, so als hätte er keine Eingeweide mehr.« Katharina selbst sprach kaum jemals von Christus, ihrem Bräutigam, ohne das Blut zu erwähnen – »das Blut des Lamms«, »die Schlüssel des Blutes«, »das mit ewiger Göttlichkeit erfüllte Blut«, »ich trinke das Herzblut Jesu«. Blut war in jedem Satz; Blut und süß ihre Lieblingswörter.
    Ihr Einfluß auf die Großen der Welt entsprang ihrer absoluten Gewißheit, daß der Wille Gottes und ihr Wille eins seien. »Tut Gottes Willen und meinen!« befahl sie Karl V. in einem Brief, in dem sie ihn zum Kreuzzug aufforderte. Und dem Papst schrieb sie in gleichem Ton: »Ich verlange . . ., daß Ihr aufbrecht, die Heiden zu bekämpfen!« Neben der Reform der Kirche war »die heilige, süße Kreuzfahrt« ihr größtes, unablässig wiederholtes Anliegen. Während Katharina für Frieden im Abendland plädierte (»Wehe, wehe, wehe, Friede, Friede, um Gottes willen . . .«), flehte sie alle Mächtigen nicht weniger eindringlich an, die Ungläubigen mit Krieg zu überziehen. »Seid ein Mann, Vater, erhebt Euch! . . . Keine Nachlässigkeiten !« stachelte sie den Papst an. Auch Hawkwood ermahnte sie, sich gegen die Feinde Christi zu wenden, statt Italien in Elend und Ruin zu stürzen. In einem Brief, der an »Messer Giovanni condottiere« adressiert war, schrieb sie: »Daher bitte ich Euch süß, da Ihr Euer Entzücken an Krieg und Kampf findet, führt keinen Krieg mehr gegen Christen, denn das beleidigt Gott.« Statt dessen, sagte sie ihm, sollte er gegen die Türken ziehen, damit »Ihr nicht länger ein Knecht und Soldat des Teufels, sondern ein männlicher und wahrer Ritter werdet«. [Ref 257]
    All das Leiden unter den »wütenden Wölfen« ihrer Zeit und die ganze Sehnsucht nach kirchlicher Reform sprach aus ihren Briefen. Ihre Appelle trugen sicher dazu bei, Gregor XI. die Kraft zu geben, dem Druck des französischen Königs zu widerstehen und sich gegen die Kardinäle durchzusetzen, die in Avignon bleiben wollten. Karl V. sagte, »Rom sei, wo immer der Papst sich gerade aufhielte«, und entsandte seine Brüder, die Herzöge von Anjou und Burgund, um den Papst zum Verbleib in Avignon zu überreden.
Zugleich sprachen sich die Kardinäle dagegen aus, in einem historischen Augenblick nach Rom zu gehen, in dem die Könige von Frankreich und England, die »so lange in einem Krieg zerfallen waren, der die Welt zerstört«,

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