Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
Vom Netzwerk:
vor, nach natürlichen und rationalen Ursachen zu suchen. Magier, betonte er, benutzten gewöhnlich Hilfsmittel, um Illusionen zu begünstigen – Dunkelheit, Spiegel, Drogen oder Gase und Dämpfe, die Visionen wecken konnten. Die Grundlage von visuellen Täuschungen war ein anomaler Gemütszustand, der durch Fasten oder erschreckende Phänomene hervorgerufen werden konnte. Als ein Mann, der seiner Zeit weit voraus war, wies Oresme darauf hin, daß die Quelle von Visionen und Dämonen die Krankheit der Melancholie sein konnte. Er betonte auch, daß die Evidenz für das Wirken der Hexerei von Geständnissen unter der Folter abgeleitet war und daß viele Wunder von der Geistlichkeit vorgetäuscht würden, um die Kollekte in ihren Kirchen zu erhöhen.
    Die Rolle Oresmes am Hofe beweist die Schwäche jeder Verallgemeinerung. Er wurde von demselben König hoch geschätzt, in dessen Diensten der Astrologe Thomas von Pisano Wachspuppen herstellte, um die Engländer zu vernichten.

    Der wissenschaftliche Geist konnte das weitverbreitete Gefühl, daß die Zeit unter einem schlechten Stern stand, nicht vertreiben. Als das Jahrhundert in sein letztes Viertel trat, wurde die Realität von Dämonen und Hexen zu einem allgemeinen Glaubenssatz. Die theologische Fakultät der Universität von Paris erklärte in einem feierlichen Konklave am Ende des Jahrhunderts, daß uralte Irrtümer und Mißstände, die fast schon vergessen gewesen waren, mit neuer Kraft auferstanden seien und die Gesellschaft vergifteten. Die Professoren entwarfen ein Thesenpapier von achtundzwanzig Artikeln, in dem sie nicht die Wirksamkeit der Schwarzen Magie, wohl aber deren Legitimität bestritten. Mit nicht weniger Nachdruck wandten sie sich gegen die Ungläubigkeit jener, die die Realität und die Macht der Dämonen bezweifelten.
    Das Unorthodoxe machte wie immer unverhältnismäßig viel Lärm. Ketzerei und Hexerei, obwohl von wachsender Bedeutung, waren nicht die Norm. Die wirkliche Gefahr für die Kirche kam im Jahre 1378 von innen.

KAPITEL 16
Das päpstliche Schisma
    I n Italien war der Krieg um die Herrschaft in den päpstlichen Staaten 1375 erneut ausgebrochen. Während der kurzen Zeit des Friedens war der Haß der Italiener auf die Söldner des Papsttums und die französischen Legaten nicht abgeklungen, sondern gewachsen. Die Stellvertreter des französischen Papstes herrschten mit der Verachtung kolonialer Gouverneure für die Eingeborenen. Als der Neffe des Abtes von Montmayeur, des päpstlichen Legaten in Perugia, sich durch die Begierde zur Frau eines perugischen Edelmannes dazu verleiten ließ, in ihr Zimmer einzubrechen, um sie sich mit Gewalt gefügig zu machen, stürzte die Dame, als sie durch das Fenster in das benachbarte Haus fliehen wollte, auf die Straße und starb. Einer Delegation wutentbrannter Bürger, die die Bestrafung seines Neffen forderten, antwortete der Abt gleichgültig: »Quoi donc! [Was denn!] Habt ihr angenommen, alle Franzosen seien Eunuchen?« Die Geschichte verbreitete sich von Stadt zu Stadt und ließ die Wut anschwellen, zu deren Vollstrecker Florenz sich berufen fühlte. [Ref 251]
    Die Florentiner empfanden die Existenz eines starken päpstlichen Staates an ihren Grenzen als Bedrohung, eine Angst, die noch durch eine Invasion Hawkwoods in die Toskana intensiviert wurde. Gezwungen, ihn zu dem unglaublichen Preis von 130 000 Florins abzufinden, meinten die Florentiner, daß er vom Papst zu diesem Angriff ermutigt worden sei. Der Antipapismus durchdrang nun die florentinische Politik in den Formen der andauernden Fehde von Guelfen und Ghibellinen.
    Bis dahin hatte der Haß des Volkes auf die papistische Partei, die von den Guelfen repräsentiert wurde, noch nicht zu bewaffneten
Auseinandersetzungen mit der Kirche geführt. Als aber während einer Hungersnot in den Jahren 1374 und 1375 die päpstlichen Legaten den Export von Getreide aus den Kirchenstaaten nach Florenz untersagten, kam es zu offenen Kriegshandlungen. Unter der Losung Libertas , die in goldenen Lettern in ein rotes Banner gewebt war, organisierte Florenz einen Aufstand der päpstlichen Staaten und gründete eine Liga gegen das Papsttum, der Mailand, Bologna, Perugia, Pisa, Lucca, Genua und verschiedene kleine Potentaten beitraten, die territoriale Ansprüche an die Kirchenstaaten hatten.
    Einem Chronisten schien es, »als stünden diese Zeiten im Zeichen eines Planeten, der Streit und Unfrieden hervorbringt«. In einem Augustinerkloster in der Nähe von

Weitere Kostenlose Bücher