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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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worden, aber ebenso eindeutig war es, daß die Kardinäle sich lange vorher auf diesen Kandidaten geeinigt hatten.
    Die ersten Andeutungen, daß es sich um eine ungültige Wahl gehandelt habe, gingen im Juli 1378 um, und die Kardinäle sammelten durch den Herzog von Fondi, einen Adligen des Königreichs Neapel, militärische Unterstützung. Die Römer und ihre Truppen stellten sich hinter Urban, der durch seine Entscheidung, nicht nach Avignon zurückzugehen, ihre Unterstützung gewonnen hatte. Er verstärkte seine Position durch einen Friedensvertrag mit Florenz und hob zum Jubel des Volkes den Bann gegen die Stadt auf. Sein Botschafter, der mit einem Olivenzweig in Florenz einzog, machte das Papsttum zumindest dieses eine Mal dort populär. Die Kampflinien wurden immer deutlicher. Im Schutz einer Söldnertruppe von Bretonen unter Sylvestre Budes, der mit Coucy in der Schweiz gewesen war, verließen die Kardinäle Rom und zogen in die päpstliche Sommerresidenz Anagni. Dort gaben sie am 9. August eine »Erklärung an die ganze Christenheit« ab, in der sie die Ungültigkeit von Urbans Wahl proklamierten, weil sie in »Todesfurcht« und im Lärm von »aufrührerischen und schrecklichen Stimmen« vonstatten gegangen sei. Nachdem sie den Heiligen Stuhl für unbesetzt erklärt hatten, verwarfen sie schon im vorhinein das Schiedsgericht eines ökumenischen Konzils mit der Begründung, daß nur ein Papst ein Konzil einberufen konnte. In einem weiteren Manifest verfluchten sie Urban als »Antichrist, Teufel, Renegaten, Tyrannen, Betrüger und durch Gewalt Gewählten«.
    Die Verstoßung eines Papstes war eine so schicksalhafte Handlung, daß es kaum möglich ist, sich vorzustellen, daß die Kardinäle mit einem Schisma rechneten. Vielmehr handelten sie wohl in dem Glauben, daß sie durch ihren geschlossenen Auszug aus der Kurie den Papst zur Abdankung zwingen oder ihn im schlimmsten Fall mit Gewalt absetzen konnten. In einer ersten Kraftprobe hatte ihr militärischer Arm, Budes’ Kompanie, bereits eine Streitmacht von römischen Gefolgsleuten des Papstes in einem Gefecht im Juli besiegt.

    Zunächst versuchten die Kardinäle sich der Unterstützung durch Karl V. zu versichern. Alle Informationen, die dem König von Frankreich zugänglich waren, sprachen gegen Urban VI. und sein politisches Interesse ohne Zweifel ebenfalls. Er rief einen Rat von Prälaten und Doktoren des Rechts und der Theologie zusammen, der am 11. September die Abgesandten der Kardinäle anhörte. Nach zwei Tagen gründlicher Überlegungen legte der Rat dem König nahe, sich einer überstürzten Entscheidung zu enthalten, da der Fall »so hoch, gefährlich und zweifelhaft« sei. Wenn das ein Ausweichmanöver war, so war es doch auch ratsame Vorsicht, die Karl allerdings beiseite schob. Obwohl er nicht offen Stellung nahm, deuten spätere Entwicklungen darauf hin, daß er den Gesandten der Kardinäle seine Unterstützung zugesichert haben muß – der bedeutendste Fehler seiner politischen Laufbahn.
    Nach weiteren legalistischen Vorbereitungen und einem Versuch, die Zustimmung der Universität von Paris zu gewinnen, der erfolglos blieb, zogen die Kardinäle nach Fondi im Königreich Neapel und wählten im Konklave des 20. September einen Papst aus ihrer Mitte. Da es ihnen vor allem darum ging, einen entschlossenen und tatkräftigen Mann an ihre Spitze zu stellen, trafen sie eine unglaubliche Wahl. Der Mann, der als Klemens VII. gewählt, inthronisiert und gekrönt wurde – dies alles an einem Tag –, war Robert von Genf, der »Schlachter von Cesena«.
    Die Wahl eines Gegenpapstes mußte polarisierend wirken, und es hätte sicher im Interesse des Papsttums gelegen, einen Mann zu wählen, der den Italienern so akzeptabel wie möglich war. Einen Mann zu wählen, der in ganz Italien gefürchtet und verhaßt war, deutet auf eine Arroganz der Macht, die nicht weniger wahnsinnig war als das Benehmen Urbans. Vielleicht war das 14. Jahrhundert zu dieser Zeit einer Art kollektiven Wahnsinns verfallen. Wenn ein aufgeklärtes Eigeninteresse das Kriterium geistiger Gesundheit ist, dann war nach dem Urteil von Michelet [Ref 260] »keine Epoche ihrer Natur nach wahnsinniger« als diese. Von Franzosen beherrscht, war das Kardinalskollegium den Gefühlen der Italiener gegenüber gleichgültig und fühlte sich von der Beschneidung seiner Einkünfte so bedroht, daß selbst die italienischen Kardinäle dieser Wahl stillschweigend zustimmten. Dies war das Endprodukt des

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