Der ferne Spiegel
Friedensverhandlungen führten, die der Hilfe der Kirche bedurften. Gregor blieb ungerührt. Trotz dunkler Vorahnungen glaubte er fest daran, daß nur seine Gegenwart Rom dem Papsttum erhalten würde, und als die Ewige Stadt ihre Unterwerfung versprach, falls er zurückkehren sollte, konnte er den Umzug nicht länger hinausschieben.
Entgegen allen Hoffnungen, die sich an seine französische Abstammung und seine schlechte Gesundheit geklammert hatten, reiste er im September 1376 trotz eines schrecklichen Sturms mit seinen Schiffen ab. Noch im letzten Augenblick hatte sich sein greiser Vater, der Graf Guillaume de Beaufort, in der ungehemmten Emotionalität des Mittelalters vor seinem Sohn auf den Boden geworfen, um ihn anzuflehen zu bleiben. Gregor trat über seinen Vater hinweg und zitierte wenig liebevoll aus den Psalmen: »Es steht geschrieben, daß ihr auf die Natter treten und den Basilisken niedertreten sollt.« [Ref 258]
Durch die Unsicherheit der Gegend um Rom zu vielen Umwegen gezwungen, erreichte er die Ewige Stadt erst im Januar 1377 und starb bereits fünfzehn Monate später, im März 1378. In der Zwischenzeit hatte er sich ebenso erfolglos wie sein Vorgänger, Urban V., an dem Chaos der italienischen Politik abgearbeitet. Von Schwierigkeiten zermürbt, hatte er den ständigen Forderungen der Kardinäle, nach Avignon zurückzukehren, angeblich noch vor seinem Tode zugestimmt, aber dann, da er den kommenden Tod spürte, das Ende in Rom abgewartet, damit die Wahl des neuen Papstes dort stattfände, wo sie hingehörte. Seine achtbaren Intentionen beschleunigten aber jene Krise, die die mittelalterliche Kirche hoffnungslos schädigen sollte.
Das Schisma hatte mit dem Dogma oder religiösen Streitfragen nichts zu tun. Sechzehn Kardinäle waren in Rom für das Konklave zusammengekommen, ein Spanier, vier Italiener und elf Franzosen, die auf zwei einander befehdende Fraktionen verteilt waren, die Limousins und die Gallikaner. Da keine der beiden Parteiungen
bereit war, den Kandidaten der anderen zu akzeptieren, entstand ein hektisches Gerangel um die Stimmen, in dem Robert von Genf, der Führer der Gallikaner, schon vor dem Tod Gregors aktiv wurde. Als sich zeigte, daß für niemanden unter den versammelten Kardinälen eine Zweidrittelmehrheit zustande kam, suchte man nach einem Außenseiter, einem Kompromißkandidaten, der von beiden Parteien akzeptiert werden konnte. Man glaubte ihn in Bartolomeo Prignano, dem Erzbischof von Bari, gefunden zu haben, einem Neapolitaner niedriger Geburt, klein, kräftig, dunkel, pflichtgetreu und anscheinend sehr bescheiden. Obwohl er als ein scharfer Gegner der Korruption und der Simonie bekannt war und das auffahrende Temperament des Süditalieners besaß, gingen die Kardinäle davon aus, daß er als ein Mann geringeren gesellschaftlichen Standes von ihnen leicht zu leiten sein würde – vor allem in der Frage der ersehnten Rückkehr nach Avignon.
Sofort nach Gregors Tod entsandten die Bürger Roms, die nun endlich die Chance sahen, die Herrschaft der französischen Päpste zu beenden, eine Deputation vornehmer Bürger in den Vatikan, um die Wahl »eines verdienten Mannes italienischer Nation« anzumahnen. Dem Kollegium gehörten zwei Römer an, aber Kardinal Tebaldeschi, »ein guter heiliger Mann«, war alt und schwach, und Kardinal Orsini wurde als zu jung und unerfahren angesehen. Überdies wurden beide von ihren Kollegen, eben weil sie Römer waren, als Papst nicht gewünscht.
Den französischen Kardinälen war klar, daß unter diesen Umständen Auseinandersetzungen nicht zu vermeiden waren, und sie ließen ihre Haushalte einschließlich ihres Geldes, ihrer Juwelen, Bücher und auch Waffen zusammen mit der päpstlichen Schatzkammer in die Engelsburg schaffen. Die Stadt Rom forderten sie auf, Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen, um sie gegen öffentliche Unordnung, Beleidigungen und Gewalt zu schützen. Um sicherzugehen, trug der Kardinal Robert von Genf ein Kettenhemd, und der Spanier Pedro de Luna diktierte seinen Letzten Willen. Da die Kardinäle sich nicht darauf verpflichten ließen, einen Römer zum Papst zu wählen, verbreiteten sich Gerüchte, daß ein von den Franzosen beherrschter Papst die Rückkehr nach Avignon bedeutete. In der Stadt brachen Unruhen aus, und drohende Volksmengen sammelten
sich, als die Kardinäle, umgeben von »vielen starken Soldaten und kriegerischen Edelleuten«, in den Vatikan gingen, um am Konklave teilzunehmen. Unter den Fenstern
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