Der ferne Spiegel
habsburgischen Vorhut blieben siebenhundert tot auf dem Schlachtfeld zurück, unter ihnen Herzog Leopold.
Was den Rittern des 14. Jahrhunderts fehlte, war der Sinn für Neuerungen. Sie hielten an den überlieferten Traditionen fest und machten sich wenig Gedanken über eine neue Taktik. Wenn jeder Adlige allein durch seine gesellschaftliche Stellung ein Krieger war, wurden dadurch kriegerische Fähigkeiten nicht erhöht, sondern vermindert.
Das Rittertum war sich seines Niedergangs in keiner Weise bewußt, und wenn doch, so hielt es nur um so mehr an den äußerlichen
Formen und glänzenden Zeremonien fest, wie um zu beweisen, daß das alte Ideal nichts von seiner Gültigkeit eingebüßt hatte. Außenstehende Beobachter waren aber in dem Maße kritischer geworden, wie das Ideal unglaubwürdiger wurde. Fünfzig Jahre waren nun seit dem Ausbruch des Krieges mit England vergangen, und fünfzig Jahre eines zerstörerischen Krieges konnten nicht ohne Prestigeverlust für eine Ritterschaft bleiben, der es weder gelang zu siegen noch Frieden zu schließen, und die statt dessen das Elend des Volkes nur vermehrte.
Deschamps machte sich offen über das schottische Abenteuer in einer langen Ballade mit dem Refrain lustig: »Jetzt seid Ihr nicht auf der Grand Pont in Paris.« [Ref 337]
Ihr seid herausgeputzt wie junge Hähne,
Wenn Ihr in Frankreich seid, brüstet
Ihr Euch mit Euren Heldentaten,
Ihr zieht hinaus, um zurückzuholen, was Ihr verlort:
Was ist es? Der Ruhm, der Euer Land
So lange geziert hat.
Wenn Ihr ihn in der Schlacht erkämpfen wollt,
Dann nehmt Euch ein Herz und keine neuen Kleider . . .
Jetzt seid Ihr nicht auf der Grand Pont in Paris.
In seinem Songe du Vieil Pélèrin von 1388 hielt Mézières mit seiner Verachtung so wenig hinter dem Berg, wie Honoré Bonet seine Vorwürfe zurückgehalten hatte. Weil die Ritter durch »Gottes Gunst bei Roosebeke« einen Sieg gegen einen Haufen von Färbern und Webern gewonnen haben, sind sie nun eitel und fühlen sich selbst als würdige Nachfolger ihrer Ahnherren König Artus, Karl der Große und Gottfried von Bouillon. Von allen Regeln des Krieges, die die Assyrer, Juden, Römer, Griechen und alle Christen geschrieben haben, hält die französische Ritterschaft nicht ein Zehntel ein, und doch glaubt sie, daß es in der ganzen Welt keine Ritterschaft gebe, die es ihr an Tapferkeit gleichtun könne.
Die modische Kleidung der Adligen, ihre Vorliebe für Luxus, ihre privaten Schlafzimmer, wo sie sich bis mittags einschlossen, ihre weichen Betten, parfümierten Bäder und ihre Sucht nach Bequemlichkeit
während der Feldzüge galten als Beweis, daß die Ritterschaft verweichlicht war. Johann Gerson, Kanzler der Universität, bemerkte einige Jahre später sarkastisch, die alten Römer »seien nicht mit drei oder vier Packpferden und Wagen mit Kleidern, Juwelen, Teppichen, Schuhen, Hosen und Zelten ins Feld gezogen. Sie führten keine Eisen- oder Bronzeöfen mit, um kleine Kuchen zu backen.« [Ref 338]
Aber mehr noch als die weichen Betten und die Stutzerhaftigkeit verbreitete der moralische Verfall des Ritterstandes Unruhe. An die Stelle von Troubadouren, die den vorbildlichen Ritter und die vollkommene Liebe in schwärmerischen Heldengedichten besungen hatten, traten nun Moralisten, die den Verfall der ritterlichen Moral in Satiren, Allegorien und didaktischen Abhandlungen beklagten. Sie zeigten, daß der Ritter vom Schutzherrn der Gerechtigkeit zu ihrem Verräter und Verächter verkommen war. Chansons de geste (Heldengedichte) wurden in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts auch gar nicht mehr komponiert, obwohl dieser Umstand nicht ohne weiteres mit den verblassenden Idealen erklärt werden kann, sondern – angesichts des gleichzeitigen Verschwindens der anzüglichen Fabliaux – auf ein rätselhaftes Austrocknen des literarischen Geistes zurückgeführt werden muß. Die Laster, Torheiten und seltsamen Wirren der Zeit verlangten eben nach der moralisierenden Form, und dennoch ist es ironischerweise gerade die Preisung des Rittertums durch Froissart, die überlebt hat.
Der Feldzug gegen Geldern von September bis Oktober 1388 wurde zu einem Fiasko, vor allem deshalb, weil niemand in der Armee ein vitales Interesse am Ausgang hatte. Der Aufwand, mit dem diese Expedition betrieben wurde, entsprach weder ihrem unbedeutenden Anlaß noch ihrem möglichen Gewinn. Wegen seiner verwandtschaftlichen Beziehungen in Bar und in Lothringen – beide Länder lagen auf dem Weg – und
Weitere Kostenlose Bücher