Der ferne Spiegel
Montforts war, in die Bretagne zu entsenden. Niemand, glaubte man, wurde vom Herzog mehr geachtet, und niemand hatte »mehr
Gewicht« als Coucy; Rivière und Vienne sollten ihn begleiten, sie bildeten eine Gesandtschaft von »drei sehr klugen Herren«. Als Montfort hörte, daß sie kamen, verstand er, da Coucy dabei war, wie hoch der Hof die Affäre bewertete. Er grüßte ihn sehr zuvorkommend, bot ihm an, mit ihm zur Jagd zu gehen, und begleitete ihn in seine Räume, »wobei sie über viele müßige Dinge sprachen und scherzten, wie es Herren tun, die sich lange nicht gesehen haben«. Als die Streitfrage zur Sprache kam, konnten selbst Coucys berühmte Überredungskunst und seine »feinen, sanften Worte« den Herzog zunächst nicht rühren. Er stand am Fenster und blickte lange schweigend hinaus, wandte sich dann um und sagte: »Wie soll irgendeine Liebe bestehen, wenn es nichts als Haß gibt?« Worauf er wiederholte, daß er nur bereute, Clisson am Leben gelassen zu haben.
Coucy brauchte zwei Besuche und seine ganze Kraft der vernünftigen und redegewandten Argumentation sowie taktvolle Andeutungen über die Schwäche von Montforts Position – tatsächlich hatte er wenig Unterstützung in der Bevölkerung der Bretagne –, um seine Ziele zu erreichen. Zunächst überredete er Montfort, Clissons Burgen aufzugeben, dann kehrte er noch einmal zurück, um ihn von der Notwendigkeit zu überzeugen, das Geld an Clisson zurückzuzahlen, und schließlich schaffte er auch das Schwierigste: den Herzog nach Paris zu bringen, wo er sich dem Urteil des Königs stellen sollte. In seinem verzweifelten Bestreben, Clisson aus dem Weg zu gehen, brachte Montfort tausend Entschuldigungen vor, aber unter dem zusätzlichen Druck des Herzogs von Burgund, der es nun eilig hatte, eine Einigung zu erzielen, mußte er schließlich nachgeben. Um seine Furcht vor einem Attentat zu beschwichtigen, überredete ihn Coucy, bis nach Blois zu reisen, wo ihn die Onkel des Königs treffen würden. Mit freiem Geleit vom König, dem Montfort durch eine Eskorte von 1200 Mann Nachdruck verlieh, wagte sich Montfort mit einer Flottille von sechs Schiffen die Loire hinauf und traf schließlich im Juni 1388 an den Toren des Louvre ein. Die Rückgabe von Clissons Eigentum und eine formelle Begnadigung durch den König wurden durch die herkömmliche Versöhnungsformel besiegelt, in der der Herzog und der Constable schworen, ein »guter und treuer« Herrscher beziehungsweise
Vasall zu sein, worauf sie unter finsteren Blicken aufeinander aus demselben Pokal auf »Liebe und Frieden« tranken.
Vom König empfing Coucy als Zeichen des Dankes eine französische Bibel und von der Geschichte – durch Froissart – einen bedeutenden Tribut. »Und ich kannte vier Herren, die die unterhaltendsten von allen waren: dies waren der Herzog von Brabant, der Graf von Foix, der Graf von Savoyen und besonders der Sire de Coucy; denn er war der höflichste und redegewandteste Herr in der ganzen Christenheit . . . der gewandteste in allen Gebräuchen. Das war der Ruf, den er unter allen Damen und Herren in Frankreich, England, Deutschland und der Lombardei und überall, wo er bekannt war, genoß, denn er war in seiner Zeit viel gereist und hatte viel von der Welt gesehen, und auch war er von Natur geneigt, höflich zu sein.« [Ref 336]
Mit diesen Talenten hatte Coucy den aufsässigsten Vasallen seit Karl von Navarra unter Kontrolle gebracht.
KAPITEL 21
Das Ideal zerbricht
D ie französischen Invasionsversuche waren genauso gescheitert, wie Buckingham und Norwich auf englischer Seite Niederlagen erlitten hatten. All das zeigte, wie hohl die Prätentionen der Ritterschaft geworden waren. Aber damit nicht genug. Im Jahre 1386 erlitten habsburgische Ritter bei Sempach eine so verheerende Niederlage durch ein Schweizer Bürgerheer, daß die Schande von Roosebeke vergolten war.
Die Österreicher hatten mit einer Neuauflage des französischen Massakers an den unritterlichen »Irrgläubigen« gerechnet, waren abgesessen, um wie die Franzosen in Flandern zu Fuß zu kämpfen. Die Schweizer Kräfte waren aber sehr beweglich und flexibel und das genaue Gegenteil der kompakten Phalanx, die den Untergang der Flamen bewirkt hatte. Als sich die Niederlage der Habsburger abzuzeichnen begann, flohen ihre berittenen Reserveeinheiten, ohne in das Kampfgeschehen eingegriffen zu haben, ganz so, wie das Bataillon von Orléans bei Poitiers geflohen war. Von den neunhundert Mitgliedern der
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