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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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Bruder Ludwig und seinem Onkel Bourbon aufbrach, um mit dem Papst in Avignon zusammenzutreffen und sich in Languedoc zu zeigen, kommandierte Coucy die Leibgarde des Königs. Der Zweck der Reise war es erstens, mit Papst Klemens VII. über Mittel und Wege zu beraten, ihm die alleinige Kontrolle über das Papsttum zu erkämpfen, und zweitens, den Ruf des Königtums in Languedoc wiederherzustellen, das sich unter der drückenden Herrschaft des Herzogs von Berry der Krone entfremdet hatte. Abgesandte des Südens hatten dem König auf Knien und unter Tränen über die »zerstörerische Tyrannei« und die »unerträgliche Ausbeutung« durch die Beamten Berrys berichtet. Wenn der König nichts unternehme, so hatten sie gesagt, würden den vierzigtausend Menschen, die schon nach Aragon geflohen waren, viele weitere folgen.
    Da der Waffenstillstand mit England nun in Kraft war, hatten Rivière und Mercier dem König geraten, diese Reise zu unternehmen, damit er sich selbst ein Bild davon machte, wie seine Untertanen lebten und regiert wurden, und damit er sich um der Geldquellen willen, »die er sehr nötig brauchte«, bei ihnen beliebt mache.
Mit seinen zweiundzwanzig Jahren, einem Alter, in dem sein Vater schon ein erfahrener Herrscher gewesen war, war Karl VI. immer noch ein oberflächlicher Jüngling, der in einem Sturzbach der Freigebigkeit auch das verschenkte, was er noch gar nicht besaß. Versuche der Schatzbeamten, die Flut der Geschenke einzudämmen, blieben erfolglos. Bemerkungen neben den Namen der Empfänger wie »Er hat schon zuviel erhalten« oder »Er sollte etwas zurückzahlen« waren vergebliche Mühe.
    Die Herzöge Berry und Burgund waren tief getroffen, als sie vom König informiert wurden, daß sie ihn nicht auf seiner Reise zu begleiten, sondern auf ihren eigenen Gütern zu bleiben hätten. Sie wußten, daß dieser Befehl auf den Ratschlag Rivières und Merciers zurückging und daß der König die Reise unternahm, um »Untersuchung zu halten« über die, die Languedoc regierten. So beratschlagten sie und entschieden, »daß sie diesen Affront einfach übergehen müßten« und daß die Zeit kommen sollte, »wenn die, die den Rat gegeben, das bereuen sollten«. Solange sie beide verbündet waren, sagten sie sich, könne »niemand etwas gegen sie unternehmen, denn wir sind die größten Persönlichkeiten in Frankreich«. »Dieses«, schrieb Froissart in kaltblütiger Rekonstruktion, »war die Sprache jener zwei Herzöge.« [Ref 352]
    Von Lyon aus setzte der König die Reise mit seiner Gesellschaft zu Schiff auf der Rhone fort. Das war angenehmer als die beschwerliche Art des Reisens auf dem Pferderücken. Während einer solchen Reise benötigte die königliche Reisegesellschaft mehrere Boote einschließlich eines besonders großen, das zwei überdachte Feuerstellen für den König beherbergte, verschiedener Versorgungsschiffe und einer schwimmenden Schatzkammer mit Edelmetallen und Juwelen, die man nötigenfalls während der Reise gegen Bargeld verpfänden konnte. Karl hat anscheinend häufig anlegen lassen, um sich in verschiedenen Städten dem Volk zu zeigen, denn die Reise dauerte ganze neun Tage. Die damaligen Begrüßungszeremonien scheinen sich dabei nicht wesentlich von den heutigen unterschieden zu haben. Bis zu tausend Kinder standen in den königlichen Farben gekleidet auf hölzernen Plattformen und winkten mit kleinen Fahnen »und riefen laute Ehrenbezeigungen, als der König vorbeikam«.

    Am 30. Oktober ritt Karl, in Purpur und Hermelin gekleidet, in den päpstlichen Palast von Avignon ein, wo ihn Papst Klemens VII. und sechsundzwanzig Kardinäle begrüßten und ihm mit ganzem Gefolge ein großes Festessen ausrichteten. Der König beschenkte den Papst mit einem Chorrock aus blauem Samt, der mit Perlen in der Form von Engeln, Lilien und Sternen besetzt war. Ob er nun einen leeren Geldbeutel hatte oder nicht, »er wollte, daß man sogar in fernen Ländern von der Pracht sprach, die er um sich herum verbreitete«. [Ref 353]
    Da das Papsttum Klemens’ neben der französischen Unterstützung keinen anderen Rückhalt besaß, wäre es in Rauch aufgegangen, wenn die Franzosen nur gewollt hätten, und das Schisma wäre beendet gewesen. Aber sie wollten alles andere als das. Ist es unter Einzelpersonen schon ungewöhnlich, wenn jemand Irrtümer oder Niederlagen zugibt, so ist es unter Staaten unbekannt. Staaten fungieren in den Bahnen, die für diejenigen, die an den Hebeln der Macht sitzen, die Bahnen

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