Der ferne Spiegel
Montfort erhalten hatte, wurden ihm 1390 die Romanze von König Pippin und seiner Frau Bertha Großfuß und die in Verse gesetzten Gestes de Charlemagne , die »schön in drei Spalten die Seite in einem dicken Band niedergeschrieben« waren, geschenkt. Das Buch gehörte der Königin, »und der König nahm den Band von ihr und gab ihn Monsieur de Coucy«.
Im Jahre 1389 stiegen die staatlichen Ausgaben in einem Maß, das den Extravaganzen der königlichen Onkel gleichkam, auch wenn sie weniger militärischen als zivilen Zwecken dienten. Der Höhepunkt war der feierliche Einzug Isabeaus von Bayern in Paris anläßlich ihrer Krönung zur Königin, ein Ereignis von spektakulärem Glanz und unvergleichlicher »Wunder« zur Volksbelustigung.
Einiges an Aufsehen wurde der neuen Königin von Valentina Visconti gestohlen, der neuen Frau Ludwigs von Orléans, die gerade noch rechtzeitig zu den Feierlichkeiten in Paris eintraf. Seit ihrer Ferntrauung im Jahre 1387 hatte ihr Vater Gian Galeazzo die Zeit genutzt, um ihre beispiellose Mitgift von einer halben Million Goldfranken – dazu die Überschreibung von Asti und anderen Besitzungen in Piemont – zusammenzutragen. Valentina war sein einziges, ihm verbliebenes Kind, an dem er so hing, daß er Pavia verließ, um nicht bei ihrer Abreise anwesend zu sein, »denn er konnte sich nicht von ihr verabschieden, ohne in Tränen auszubrechen«. Als Tochter seiner toten Frau Isabelle von Frankreich – und daher Kusine Ludwigs von Orléans – war sie in einem Haushalt aufgewachsen, den ihr Vater »zur Heimat berühmter Gelehrter und Künstler gemacht hatte, die er sehr verehrte«. Sie sprach fließend Lateinisch, Französisch und Deutsch und brachte ihre eigenen Bücher und ihre Harfe mit nach Frankreich. Dreizehnhundert Ritter begleiteten sie über die Alpen, und ihre Aussteuer mag daran bemessen werden, daß sie ein mit zweitausendfünfhundert Perlen und Juwelen besetztes Kleid trug. Ihre Räume in Ludwigs Haus waren mit Aragonleder ausgelegt und mit zinnoberrotem Samt ausgeschlagen, der mit Rosen und Armbrüsten verziert war. Die Haushaltsbücher verzeichnen seidene Überdecken, die 400 Francs das Stück kosteten, als Neujahrsgeschenk. Aber all der Luxus konnte den Schatten der Melancholie von der jungen Ehe nicht fernhalten. [Ref 350]
Am großen Tag des Einzugs von Königin Isabeau nahm die Prozession ihren Weg über die Rue St. Denis, die Hauptstraße, die zum Châtelet und zur Grand Pont über die Seine führte. Es war ein Tag der Damen, die Herzoginnen des Königreiches und alle hohen Damen nahmen in kostbar geschmückten Sänften an dem Zug teil und wurden ausnahmslos von hohen Adligen eskortiert. Coucy ritt neben seiner Tochter Marie und ihrer Schwiegermutter, der Herzogin von Bar, während seine Frau sich in einer anderen Sänfte befand. Die Kleider und Schmuckstücke der Damen waren Meisterwerke des Schneider- und Goldschmiedehandwerks, denn der König wollte jede vorherige Zeremonie an Pracht übertroffen wissen. Er hatte in den Archiven von St. Denis nach Details historischer
Krönungszeremonien anderer Königinnen forschen lassen. Der Herzog von Burgund, immer aufs herrlichste gekleidet, brauchte solche Hilfe nicht. Er trug ein samtenes Wams, das mit vierzig Schwänen und vierzig Schafen bestickt war, und jedes Tier trug ein Halsband mit einer echten Perle.
Unter der Führung des Vorstehers standen zwölfhundert Bürger in roten Gewändern auf der einen und in grünen Gewändern auf der anderen Straßenseite Spalier. Es hatte sich eine solche Zuschauermenge versammelt, daß es schien, »als wäre die ganze Welt gekommen«. Die Häuser der Rue St. Denis waren allesamt mit Teppichen und Seidenstoffen geschmückt, und die Straße war so großzügig mit feinen Tüchern ausgeschlagen, »als ob sie nichts kosteten«. [Ref 351]
Der Weg führte die Prozession durch die Porte St. Denis, wo sie unter einem herrlichen Stoffhimmel hindurchzog, der über dem Tor aufgespannt und mit Sternen verziert worden war. Unter dem Himmel standen als Engel gekleidete Kinder, die süße Lieder sangen. Die nächste Station war ein Brunnen, aus dem Rot- und Weißwein flossen, der von lieblich singenden Jungfrauen in goldenen Gefäßen ausgeschenkt wurde. Es folgte eine Theaterdarbietung auf einer Bühne, die inmitten des Platzes vor der Kirche von Ste. Trinité errichtet worden war. Auf dem Programm stand Pas Saladin , ein Drama über den Dritten Kreuzzug. Danach zog die Prozession weiter,
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