Der ferne Spiegel
Freunde behaupteten sich mit großem Mut in den Schranken des Turniers von St. Ingelbert, und er wurde später Marschall von Frankreich und nahm an Coucys letztem Abenteuer teil. [Ref 347]
Nottinghams Kampfsucht sollte ein dunkleres Ende finden. Als Herzog von Norfolk stieß er zehn Jahre später in dem historischen Duell mit Bolingbroke zusammen, das den Sturz Richards II. auslösen sollte. Zusammen mit seinem Kontrahenten wurde er verbannt und starb ein Jahr später im Exil.
Ständig umherreisend, besuchend, forschend, fragend, kam Froissart in dem Monat nach Paris, der England und Frankreich den Waffenstillstand brachte. Er wollte den »gentil Sire de Coucy . . . einen meiner Herrn und Wohltäter« besuchen. In den zwanzig
Jahren seit dem Tode seiner ersten Schutzherrin, Königin Philippa von England, war er zum Teil von Kaiser Wenzel unterstützt worden und hatte sich bei Guy de Châtillon, Graf von Blois, als Schreiber verdungen, ohne aber eine andere Aufgabe zu haben, als seine Chronik zu vervollständigen. Als Guy von Blois dann verarmte, hatte Coucy Froissart für eine Domherrenpfründe in Lille vorgeschlagen, die ihm aber bis dahin noch nicht zugestanden worden war. In der Zwischenzeit
Stopfte der gute Seigneur de Couci
meine Faust mit
manchem roten Florin. [Ref 348]
Wenn auch zu erwarten ist, daß der Empfänger der Patronage als Gegenleistung mit Komplimenten nicht kleinlich ist, so scheinen Froissarts Lobreden über das übliche Maß hinauszugehen. »Gentil« war normalerweise ein Wort, das auf jeden wichtigen und angesehenen Adligen angewandt wurde, es bedeutete nicht mehr, als daß jemand von adliger Geburt war. Coucy wird aber zusätzlich »feinsinnig«, »bedächtig« und »imaginatif« oder »fort-imaginatif« genannt, was intelligent, nachdenklich oder weitsichtig bedeutet. Aber auch das alles umfassende »sage« oder »très sage« gehörte zu den Attributen, die ihm beigelegt wurden. Es konnte weise, vernünftig, wachsam, verständig, zurückhaltend, einsichtig, beherrscht, nüchtern, gelassen, umgänglich, standfest, tugendhaft oder auch all dies zusammen heißen. Coucy wird außerdem als »cointe« beschrieben, was auf Eleganz in Kleidung und Benehmen, auf Höflichkeit, Anmut und Tapferkeit verweist. Mit einem Wort, ihm wurden alle Attribute des Rittertums zugeschrieben.
In Buch eins von Froissarts Chroniken , das 1370 erschien, wurde sofort deutlich, daß es sich um eine Verherrlichung des Rittertums handelte. Das älteste noch vorhandene Exemplar dieses Buches, das sich heute in der Königlichen Bibliothek Belgiens befindet, trägt das Wappen Coucys. Damals war die Vervielfältigung von handschriftlichen Manuskripten nicht mehr nur die Domäne von einsamen Mönchen in ihrer Zelle. Der Berufsstand des Schreibers hatte sich entwickelt und seine eigenen Gilden gebildet. Die Schreiber wurden von der Universität von Paris geprüft, sicherlich, um für ordentliche Texte zu sorgen, aber sie waren der große Kummer der
lebenden Autoren, die sich mehr als einmal beschwerten, daß die Schreiber langsam und ungenau arbeiteten. Die »Ärgernisse und Entmutigungen«, die den Autoren durch die Schreiber zugefügt wurden, beklagte sich Petrarca, seien unbeschreiblich. Die »Ignoranz, Faulheit und Überheblichkeit dieser Kerle« war so groß, daß ein Autor nie wußte, welche Wandlungen sein Werk durchgemacht hatte, wenn er es aus den Händen der Schreiber zurückerhielt.
Im 14. Jahrhundert hatten der Aufstieg des Bürgertums und die erweiterte Papierproduktion ein Leserpublikum hervorgebracht, das über den Adel hinausging, der Literatur aus den Vorlesungen und Vorträgen in den Sälen seiner Burgen kannte. Das Handelsbürgertum, mit Lesen und Schreiben aus beruflichen Gründen bestens vertraut, widmete sich nun auch der privaten Lektüre aller Art: Gedichte, Romane, historische Erzählungen und Reiseberichte, Allegorien, religiöse Werke und Zoten. Der Besitz von Büchern war das Kennzeichen des gebildeten Menschen geworden. Da Handelsmagnaten und Neureiche die Manieren, Ideale und die Kleidung des Adels imitierten, kamen Chroniken des Rittertums groß in Mode. [Ref 349]
Welche Bücher Coucy außer den Chroniken von Froissart besessen hat, ist unbekannt, wenn man von denen absieht, die in den königlichen Archiven als Geschenke an ihn vermerkt sind. Neben der französischen Bibel, die alles von dem Buch Genesis bis zu den Psalmen umfaßte und die er vom König als Belohnung für die Einigung mit
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