Der ferne Spiegel
beherrschten und jetzt nach Europa vorgedrungen seien, daß sie Konstantinopel bedrohten, Ungarn beunruhigten und Granada schon besetzt hielten. Mit der Unterstützung Genuas könnte aber schon ein kurzer französischer Feldzug lang anhaltenden Ruhm bringen. »Eine hervorragende Sache für Eure Herrschaft«, sagten sie Karl, »denn Ihr seid der größte christliche König und berühmt dazu.«
Der Plan stammte von jenem »sehr klugen Mann« Antonio Adorno, dem Dogen von Genua, dessen Tyrannei zur Bildung einer Oppositionspartei in der Stadt geführt hatte. Er hoffte, dieser Bedrohung die Spitze zu nehmen, indem er den Handel der Stadtrepublik förderte und sich zugleich Rückhalt bei einem mächtigen Verbündeten verschaffte. Während die französischen Ritter den Vorschlag begeistert aufnahmen, waren die Minister vorsichtig. Ohne einen ordentlichen Friedensvertrag mit England zögerten sie, militärische Kräfte außer Landes gehen zu lassen; und die Frage des Kommandos mußte Eifersüchteleien heraufbeschwören.
Auf weitere Konsultationen vertröstet, mußten die genuesischen Gesandten ohne feste Zusage wieder nach Hause zurückkehren.
Während des Aufenthaltes in Toulouse nahm Coucy an einer Jagd der königlichen Gesellschaft teil. Dieses Ereignis hätte fast zu dem ersehnten Porträt geführt, das sein Gesicht der Geschichte erhalten
hätte. Bei Einbruch der Nacht verirrten sich die Jäger im Wald. Sie ritten tiefer und tiefer in das dunkle Dickicht und konnten keinen Ausweg finden, bis der König schwor, der Kapelle von Notre-Dame de Bonne Espérance im Kloster von Carmes in Toulouse den Gegenwert für sein Pferd zu schenken, wenn sie dieser Gefahr entkämen. Wie als Antwort darauf brach Licht durch das Dunkel, und ein Weg kam in Sicht. Am nächsten Tag erfüllte der König pflichtgemäß seinen Schwur, an den später ein Fresko erinnerte, das die einzige bekannte zeitgenössische Darstellung von Enguerrand VII. de Coucy enthält: unglücklicherweise ohne Gesicht. In den Kopien, die die Zerstörung des Klosters von 1808 überlebten, ist Coucy unter den Adligen im Gefolge des Königs zu erkennen, jeder ist durch sein Wappen gekennzeichnet: Ludwig von Orléans, der Herzog von Bourbon, Heinrich von Navarra, Olivier de Clisson, Philippe d’Eu, Henri de Bar und zuletzt Coucy als einziger mit abgewandtem Gesicht, als wollte er der Nachwelt bewußt spotten.
Mit dem König und Gefolge kehrte Coucy über Dijon nach Paris zurück. In Dijon erwartete der Herzog von Burgund die Reisegesellschaft, immer noch bemüht, »den Affront zu übergehen« – auch dies in großartiger Manier. Über die zu diesem Zweck arrangierten Festlichkeiten, Gesellschaften, Festmahle, Turniere und Geschenke ist ein großes Buch geschrieben worden, aber diese Extravaganzen inmitten der wachsenden Schwierigkeiten des 14. Jahrhunderts wiederholen sich so regelmäßig, daß das Erstaunen darüber nachläßt. [Ref 355]
Anläßlich der Feierlichkeiten war ein Zelt in Auftrag gegeben worden, für das 30 100 Ellen Stoff benötigt wurden, denn es war keine genügend große Halle vorhanden, die alle Gäste hätte aufnehmen können. Nachdem dieses Zelt im Hof des Palastes seinen Zweck erfüllt hatte, war es dann sparsamerweise in Stücke geschnitten und in großen Mengen verkauft worden. Die Menge Tuch, die für blaue Satingehänge in den herzoglichen Räumen, für dreihundert Gewänder aus Seide und Damast für die Damen des Gefolges und für die vielfarbigen Samt- und Satinwämser der Ritter verbraucht wurde, muß Flandern ausgeräumt haben. Wie viele Näherinnen müssen beschäftigt gewesen sein, um die Vorhänge
mit dem »Il me tarde« des Herzogs und den Initialen seiner Frau herzustellen? Wie viele Arbeiter müssen Beschäftigung gefunden haben, indem sie Wände niederrissen, Bäume fällten, den Boden ebneten und überdachte Tribünen für die Turniere bauten? Hatte der Gastgeber alleine dreißig Streitrosse für das Ereignis bereitstellen lassen, so muß insgesamt eine ganze Armee von Stallknechten die Tiere versorgt haben. Jongleure, Schauspieler, Akrobaten und Dompteure bevölkerten die Stadt, um das Volk zu unterhalten, während der Adel dem Turnier zusah.
Obwohl Coucy bereits fünfzig Jahre alt war, wurde er als ein – oder vielleicht der – Preisträger des Turniers vorgestellt. Als Preis erhielt er von der Herzogin eine Perlen- und Saphirspange. Beim Austausch der Abschiedsgeschenke (der Preis jedes einzelnen wurde sorgfältig
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