Der ferne Spiegel
die höchsten Mauern Mahdias und trug eine große Plattform, die durch eine Brüstung geschützt war. Mittlerweile litt auch die Stadt unter Versorgungsschwierigkeiten, und so entsandte sie Unterhändler zu Waffenstillstandsverhandlungen. Die Gesandten wurden zu dem Herzog von Bourbon und Coucy geführt, die aufmerksam deren von einem Genueser übersetzte Vorschläge anhörten. Die Gesandten fragten, warum die englischen und französischen Ritter gekommen seien, um ein Land mit Krieg zu überziehen, das ihnen nichts zuleide getan habe. Sie wiesen darauf hin, daß sie nur die Genuesen belästigt hätten, »was aber zwischen Nachbarn nur natürlich wäre, denn es sei Sitte, sich wechselseitig alles zu nehmen, was man kriegen könne«.
Die Antwort erforderte große Umsicht, da die Franzosen auf eine klare Begründung für einen gerechten Krieg Wert legten. Nach einer kurzen Beratung von Bourbon, Coucy und zwölf der führenden Adligen antwortete man, offenbar in der Annahme, daß Ungläubige auch ungebildet seien, daß man gekommen sei, um Krieg gegen die Sarazenen zu führen, weil sie Ungläubige waren »ohne eigene Religion« und schon deshalb Feinde, und daß man Vergeltung an ihnen üben wollte, weil ihre Vorfahren »Gottes Sohn namens Jesus Christus gekreuzigt und zu Tode gebracht hatten«.
»Über diese Antwort lachten die Sarazenen nur, und sie sagten, daß es die Juden gewesen seien, die Christus gekreuzigt hätten, aber nicht sie.« Damit wurden die Gespräche offenbar abgebrochen.
Im Anschluß daran entspann sich ein Gespräch zwischen einem Berber und einem Christen über das Verdienst ihrer jeweiligen Religion. Der Berber wahrscheinlich in der Hoffnung, auf diese Weise
christliche Gefangene in die Hand zu bekommen, schlug vor, den Streitfall durch einen Kampf von zehn Ausgewählten jeder Seite zu entscheiden. Sofort begeistert, entschlossen sich zehn Kreuzritter, unter ihnen Guy und Guillaume de Tremouille, Geoffrey Boucicaut und zwei englische Ritter, die Herausforderung anzunehmen, während das ganze Lager aufgeregt dem Ereignis entgegenfieberte. Nur Coucy mißbilligte das Treffen.
»Hütet eure Zungen, die ihr niemals die Folgen bedenkt«, sagte er, »ich sehe keinen Vorteil in diesem Kampf.« Angenommen, die Sarazenen schickten keine Ritter, sondern nur Diener oder Soldaten, welche Ehre oder welcher Vorteil sollte darin liegen, sie zu besiegen? Angenommen, die Herausforderung wäre nur eine Finte, mit der die Feinde christliche Ritter gefangennehmen wollten, von denen sie bisher nicht einen hatten? Ein solcher Kampf konnte niemals Mahdia bezwingen, egal wie er ausginge. Außerdem sollte ein solcher Waffengang, besonders mit einem unbekannten Gegner, niemals ohne gründliches Nachdenken und ohne Erlaubnis des Ältestenrates oder ohne genaue Kenntnis des Gegners, seines Namens, Vornamens, Ranges und seiner Waffen angenommen werden. Coucy tadelte die kampfbereiten Ritter wegen ihrer Disziplinlosigkeit und mangelnden Unterordnung unter das Oberkommando, das in einer Armee die entscheidende Stimme haben sollte. Aber mit dieser Vorstellung war er seinen Landsleuten weit voraus. [Ref 360]
Obwohl viele seinem Rat folgen wollten, unterstützten andere den Grafen d’Eu und Philippe de Bar, die darauf bestanden, daß man nun, da die Herausforderung angenommen sei, nicht zurückkönne und der Kampf stattfinden müsse. Unter der Führung von Geoffrey Boucicaut, der in »übermäßigem Stolz« angeboten hatte, mit zwanzig gegen vierzig zu fechten, ritten die Kämpfer in ihren Rüstungen zur festgesetzten Zeit zum verabredeten Platz. Eine Gruppe ihrer Kameraden begleitete sie und zog immer mehr mit, bis praktisch alle kampftüchtigen Männer das Lager verlassen hatten, das nur noch von Coucy und den Verwundeten bewacht wurde. Als sie diese große Anzahl von Bewaffneten sahen, zogen es die Vertreter der Berber vor, gar nicht erst zu erscheinen, und blieben im nahe gelegenen Lager.
Zweifellos auf Coucys Ratschlag hin versuchte der Herzog von
Bourbon, den nun drohenden Zusammenstoß zwischen den beiden Armeen zu verhindern. Er eilte auf seinem Maultier herbei, fand sich aber von mehreren tausend gereizten Kriegern umgeben, die nicht zu beruhigen waren. Da er befürchtete, daß man ihm nicht gehorchen würde, wenn er den Rückzug befahl, entschloß er sich, der Situation freien Lauf zu lassen. Die christliche Armee griff spontan das feindliche Lager an, und eine wilde Schlacht begann. Zwar gelang es, der
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