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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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sarazenischen Armee schwere Verluste zuzufügen, aber die Christen konnten den an Zahl weit überlegenen Feind nicht entscheidend schlagen und erlitten, halb erstickend in ihren Rüstungen, schwere Verluste. Sie waren in Schweiß gebadet, schnappten mit offenen Mündern nach Luft, von Durst gequält. Die Verwundeten taten in den Armen ihrer Kameraden den letzten Atemzug, die Erschöpften blieben bewegungslos am Boden liegen. Bei Einbruch der Dämmerung empfahlen dann auch die Ratgeber des Grafen d’Eu den Rückzug, da sie wußten, daß »niemand außer dem Sire de Coucy mit ein paar Mann und vielen Kranken« im Lager war, und sollten die Sarazenen es angreifen, »wären sie alle verloren«, und das Lager würde überrannt werden.
    Die Verlustzahlen gehen weit auseinander. Bourbons Biographen zufolge fanden zwei Ritter und vier Knappen den Tod; Froissart spricht von nicht weniger als sechzig Toten, von denen er viele bei Namen nennt. Aber wie viele, es auch waren, sie ließen ihr Leben in einer sinnlosen Schlacht.
    Die Enttäuschung verstärkte das Elend einer Belagerung, die nun schon zwei Monate andauerte und keinen Erfolg gebracht hatte. Stimmen erhoben sich, die forderten, die Belagerung aufzuheben, da man mit kleinen Scharmützeln niemals die Stadt einnehmen würde. Für jeden erschlagenen Feind konnten zehn an seine Stelle treten, da sich die Sarazenen im eigenen Land befanden. Der Winter mit seinen langen, kalten Nächten stand vor der Tür, und man hörte auch Gerüchte, daß die Genueser, »die rohe Gesellen und Verräter sind«, nachts in ihren Schiffen davonsegeln könnten. Und wirklich, wegen der langen Unterbrechung ihrer Handelsgeschäfte waren die Genueser in der Tat unruhig geworden. Sie sagten, sie hätten erwartet, daß die Franzosen die Stadt innerhalb von zwei Wochen einnehmen würden, aber wie die Dinge lägen,
könnte man mit der Eroberung ja nicht mehr rechnen, noch weniger mit der ganz Tunesiens in diesem oder dem nächsten Jahr. Unter diesen Zweifeln und Befürchtungen wurde ein Kriegsrat zusammengerufen, der eine letzte große Anstrengung, Mahdia einzunehmen, beschloß.
    Der Tag wurde zu einem Blutbad. Die sarazenische Armee unter der Leitung der beiden Söhne des Sultans griff in die Kämpfe ein, und die Verteidiger von Mahdia, die »in dem Glauben an eine glorreiche Belohnung in der anderen Welt« kämpften, überschütteten die Angreifer mit einem Hagel von Pfeilen, Steinen und siedenden Öltöpfen, wobei der große Belagerungsturm der Kreuzritter zerstört wurde. Die Angreifer kletterten auf Leitern bis an die Mauerkrone empor, nur um zurückgeworfen zu werden. Trotz der entschlossenen Angriffe, von denen einer fast ein Stadttor bezwungen hätte, widerstand Mahdia dem Sturm. Die Feldarmee der Sarazenen wurde zwar zurückgeschlagen, aber die feste Stadt erwies sich wie so oft zuvor in Frankreich als uneinnehmbar.
    Danach waren beide Seiten bereit, die Feindseligkeiten zu beenden. Die belagerten Berber, die schwer unter der Blockade litten, sahen keinen Sinn darin, den Krieg auf eigenem Boden länger fortzuführen. Mit ihren leichteren Waffen konnten sie auf einen entscheidenden Sieg im Feld nicht hoffen. Die genuesischen Urheber der Unternehmung waren mehr als bereit, dem Rückzug zuzustimmen. Während die Bedingungen noch ausgehandelt wurden, brachen die Ritter ihr Lager ab. Die Banner wurden eingeholt, die Zelte zusammengerollt; der Rückzug in die Schiffe war neun Wochen nach der Landung vollendet. »Da Ihr der erste wart, der an Land ging, guter Vetter«, sagte Bourbon zu Coucy, »möchte ich der letzte sein, der an Bord geht« – ein weit weniger gefährliches Unterfangen.
    Der Vertrag, den die Genueser mit den Berbern schlossen, enthielt Bedingungen, die es den Franzosen erlaubten, den Abschluß des Kreuzzugs als ehrenhaft zu erklären. Ja, beim letzten Kriegsrat überzeugten sie sich sogar, ihre Sache gut gemacht zu haben. Eine Belagerung zwei Monate lang gegen drei Sarazenenkönige und eine starke Stadt durchgehalten zu haben, sei so ehrenwert, sagte Soudic de la Trau, »wie in drei Schlachten zu bestehen«. Andere
Sprecher nahmen dieses Urteil freudig auf, und alle, einschließlich Coucy, stimmten den ausgehandelten Bedingungen zu.
    Eine weitere Unternehmung, die vierte seit dem schottischen Fiasko, war ergebnislos abgebrochen worden. Es lag nicht an fehlendem Willen oder Mut oder Kampfkraft, sondern an der unüberlegten Übernahme einer militärisch nicht lösbaren Aufgabe. Die

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