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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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Invasoren der Augustsonne und dem vergeblichen Ansturm gegen die Steinmauern zu überlassen, während er sie gleichzeitig durch ständige Überfälle in Atem halten wollte, bis Erschöpfung, Hitze, mangelnde Versorgung und die Nachschubschwierigkeiten sie zum Rückzug zwingen würden. Es war dieselbe Strategie, die Karl V. gegen die Engländer entworfen hatte und die seitdem vielen Verteidigern erfolgreich gedient hatte. [Ref 359]
    Überzeugt von ihrem Sieg über die verachteten Ungläubigen, schlugen die Kreuzfahrer ihre bunten Zelte vor der Stadt auf, der Pavillon Bourbons unter dem Lilienbanner im Zentrum, die genuesischen Armbrustschützen auf den Flügeln. Sie konnten Mahdia zu Wasser und zu Lande an der Taille der Halbinsel blockieren, aber die Stadt hatte einige Vorräte eingelagert und wurde durch unterirdische Kanäle mit Trinkwasser versorgt. Sie beherbergte in ihren Mauern, die wie ein Dreieck geformt waren, eine große Bevölkerung und eine sechstausend Mann starke Garnison, die angeblich in unterirdischen Quartieren untergebracht war. Da dem Sultan bewußt war, daß der Fall von Mahdia den Christen den Weg zur Eroberung ganz Tunesiens öffnen würde, hatte er die Befestigungen der Stadt an allen Punkten verstärken lassen und die benachbarten Könige aufgerufen, eine Feldarmee im Hinterland aufzustellen.
    Drei Tage lang unterbrach nichts die Belagerungsvorbereitungen der Invasoren, dann aber, am dritten Abend, brachen die Berber mit gellenden Schreien aus einem der Tore der Festung hervor. Dank eines Warnsystems von Wachen rund um das Lager herum konnten sie zurückgeworfen werden, dreihundert Berber blieben auf dem Schlachtfeld zurück. Danach fiel die Stadt wieder in ihren
schweigenden Widerstand zurück, während die Belagerer einen gut einen Meter hohen Palisadenzaun errichteten, um die feindlichen Reiter von einem erneuten Eindringen abzuhalten. Aus gekreuzten Rudern und Lanzen wurde den Bogenschützen eine notdürftige Deckung zurechtgezimmert, und alle vierzig Meter wurde ein Wachtposten aufgestellt.
    Aus der Ferne kündigte der Klang von Trommeln und Trompeten die heranrückende sarazenische Entsatzarmee an, angeblich vierzigtausend Mann stark. Sie lagerte hinter der Stadt, ließ sich nicht auf einen geschlossenen Angriff ein, hielt aber einen ständigen Druck durch eine Serie von empfindlichen Überfällen auf schnellen Pferden aufrecht, die die Christen immer dann überraschten, wenn die Sonne am höchsten stand, und zwang sie in ihren schweren Rüstungen zum Kampf. Die Europäer »verbrannten fast« in ihrem Stahl, während die Berber nur leichte Brustharnische aus gestepptem Stoff oder Leder trugen. Wenn sie verfolgt wurden, zerstreuten sie sich rasch, aber nur um sich erneut zu formieren und den Gegner zu verfolgen, der, zudem durch die Rüstung behindert, viele Verluste erlitt. Über die nächsten sechs bis sieben Wochen setzten sich die Überfälle fast täglich und manchmal auch bei Nacht fort.
    Genuesische Schiffe versorgten das christliche Lager unterdessen von See her mit Proviant aus Sizilien und Kalabrien, aber sie kamen nicht regelmäßig, zwischen den Lieferungen gab es Zeiten der Entbehrung. Der schwere Wein der Genueser sorgte zusätzlich für Lethargie. Hitze, Durst, Verwundungen und Fieber, Erkrankungen durch schlechtes Wasser, dieselben Übel – außer der Pest –, die dem Kreuzzug Ludwigs des Heiligen so zu schaffen gemacht hatten, nagten an den Belagerungstruppen. Schwärme von Insekten schlugen ebenso wie die Unbezwingbarkeit der Stadt aufs Gemüt. Die Franzosen rationierten die Lebensmittel und versuchten, einander Mut zuzusprechen. »Besonders der Sire de Coucy«, so berichtet der getreue Froissart, »kümmerte sich um das Wohlergehen der ärmeren Ritter und Knappen, während der Herzog von Bourbon gleichgültig war und mit gekreuzten Beinen vor seinem Zelt saß und von jedem verlangte, daß er sich durch eine dritte Person in aller Form anmelden ließ, wobei es ihm egal war, daß dies die
geringeren Ritter in Verlegenheit brachte. Der Sire de Coucy dagegen war ganz ungezwungen. Er war freundlich zu jedermann und höflicher als der Herzog von Bourbon, der sich niemals in der umgänglichen Weise mit fremden Rittern und Knappen unterhielt, wie es der Sire de Coucy tat.«
    Da die Invasoren keine Sturmböcke mitgebracht hatten, um die Stadtmauern einzustoßen, begannen sie, einen gewaltigen Belagerungsturm auf Rädern zu bauen. Er war drei Stockwerke hoch, überragte auch

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