Der Feuerstein
zu sprechen. Sie ist wie Dreck in meinem Mund. Aber du wirst mir sagen, was ich wissen will. Und zwar schnell, damit ich mich nicht mit zu vielen barbarischen Wörtern beschmutzen muss.«
Mein Herz schlägt heftig. Es wäre viel einfacher gewesen, wenn ich weiter die Ahnungslose hätte spielen können. Jetzt aber muss ich meine Worte mit enormer Vorsicht wählen.
»Was wollt ihr mit mir machen?«, frage ich und gebe mir keine Mühe, das Zittern in meiner Stimme zu verbergen. Es gilt, ihn so lange hinzuhalten, bis er einen großen Schluck von dem Wein getrunken hat. Oder mir so nahe kommt, dass ich ihn doch erstechen kann.
»Ich werde mit dir essen, und du wirst mir von deinen Gefährten erzählen. Wenn du mir nichts verrätst, werde ich die Erde mit ein bisschen Blut von dir tränken und dir dann mit Zauberkraft den Mund öffnen. Und dann wirst du entscheiden.«
»Ich?«, hauche ich. »Ich werde entscheiden?«
»Ob du leben oder sterben wirst.«
Es wird also einen Preis geben, eine Wahl. Ich weiß noch nicht, welche, und es ist mir auch egal. Wenn ich ihn töten kann, wird das keine Rolle mehr spielen.
»Ich will leben«, sage ich und tue so, als hätte ich noch
mehr Angst, als ich tatsächlich fühle. Plötzlich wird mir bewusst, dass mir gar nicht mehr kalt ist. Ich muss nicht mehr unablässig beten, um meine Glieder vor dem Erfrieren zu bewahren. Vielleicht weil das, was nun geschehen wird, die Erfüllung meiner Aufgabe darstellt? Aber vielleicht liegt es auch an der Nähe des anderen Feuersteins?
Ah, der Feuerstein. Das ist vielleicht meine einzige Möglichkeit, etwas zu verstehen.
»Dieses … Ding um deinen Hals«, sage ich und zeige darauf. »Mein Volk hat große Angst davor.«
»Iss, iss!«
Gehorsam fasse ich wieder in die Schüssel, und er lehnt sich ein wenig zurück, während das schöne Blau seiner Augen arrogant aufblitzt. »Sie fürchten es aus gutem Grund. Dieser Stein hier wird zusammen mit denen meiner Brüder euer Land in unsere Hände fallen lassen. Es ist Gottes Wille.«
Beinahe hätte ich ihn jetzt schon erstochen. Was weiß dieser Mann von Gottes Willen? Er ist verrückt und mit seinen wilden Augen und dem Raubtierhunger kaum menschlich zu nennen. Meine Hände beben vor Zorn, obwohl ich mir nicht sicher bin, gegen wen er sich eigentlich richtet. Die Anhänger der Vía-Reforma haben mich völlig ahnungslos heranwachsen lassen, weil Gott es angeblich so wollte. Vater Nicandro hat mir aus demselben Grund von meinem Erbe erzählt. Cosmé und Humberto haben mich entführt, damit sein Wille geschehe. Und nun gibt sogar mein Feind vor, Gottes Absichten zu kennen.
Alentín hatte mir gesagt, dass jeder Mensch zweifelt. Aber irgendwie kommt es mir so vor, als sei ich die Einzige, die
nicht den Hauch einer Ahnung hat, was Gott von ihr will. Zwar bin ich seine Auserwählte, aber ich verstehe gar nichts.
»Wieso?«, flüstere ich. »Wieso tust du das?«
»Ich glaube, ein wenig Wein zum Essen wäre jetzt ganz schön, was meinst du?« Er grinst mich katzenhaft an und steht dann auf. Mit angehaltenem Atem beobachte ich, wie er auf das Gestell mit dem Weinschlauch zugeht.
Gott, bitte lass ihn etwas davon trinken.
Er bewegt sich mit löwenartiger Grazie, und es ist, als ob unter seiner straffen Haut etwas anderes lauert und sich windet. Ein Geschöpf, verborgen in der Haut eines anderen. Alodia würde neben ihm wie ein grober Klotz wirken.
Er füllt zwei Becher.
Ich weiß nicht genug über Duermakraut, wie lange es dauert, bis jemand daran stirbt, und ob rohe Beeren überhaupt diese Wirkung haben. Als er zurückkehrt, lehne ich mich leicht zurück, bis sich die Messerspitze beruhigend gegen meinen Rücken drückt.
Er setzt sich wieder. »Erzähle mir von deinen Gefährten«, sagt er, »dann bekommst du etwas Wein.«
Als ob Wein etwas so Kostbares wäre. Der Animagus hat etwas Schlichtes, Unbedarftes an sich. Vielleicht ist es auch Verrücktheit. Ich tue so, als dächte ich über seinen Vorschlag nach.
»Was willst du wissen?«, frage ich, und mir stockt der Atem, als er einen Schluck nimmt.
»Wieso seid ihr gekommen?«
In der Belleza Guerra heißt es, die beste Täuschung sei aus der Wahrheit geboren. »Wir wollten euer Heer sehen«, erkläre ich also.
»So dumm könnt ihr nicht sein, das kann ich mir nicht vorstellen.« Wieder nimmt er einen Schluck.
Meine Augen ruhen auf dem Weinbecher, als wollte ich ihn unbedingt haben. »Wir wurden ausgesandt«, sage ich.
Seine Augen weiten sich.
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