Der Feuerstein
die Zweige. In einiger Entfernung flackert ein Feuer höher als die anderen und viel heller. Es ist das Zelt des Animagus. Die Inviernos, die meinem Versteck am nächsten sind, rappeln sich auf und laufen dorthin.
Jetzt muss ich handeln.
Schnell lasse ich das Gewand fallen, aber ich will auf keinen Fall, dass es die Stelle markiert, an der ich das Lager verlassen habe. Selbst wenn ich die Steilwand ungesehen hinaufkommen sollte, wird es nicht lange dauern, bis sie sich zusammenreimen, was geschehen ist, und die Verfolgung aufnehmen.
Also halte ich noch kurz inne, um den Zopf aus meinem Halsausschnitt zu ziehen und in meinen Gürtel zu schieben, dann bedecke ich das Gewand so gut wie möglich mit Erde und Kiefernnadeln.
Während der Feind damit beschäftigt ist, das Feuer zu löschen, haste ich den Hang hinauf. Zuerst fällt mir das Klettern leicht, und ich benutze nur gelegentlich meine Hände, aber dann wird es immer steiler, und schließlich mühe ich mich auf allen vieren voran, taste mit rutschenden Fingern umher und suche im Dunkeln nach etwas, woran ich mich festhalten kann. Wurzeln, Felsvorsprünge, alles. Die Haut an meinen Beinen ist wund von der uringetränkten Hose. Meine Fingernägel sind schnell voller Dreck, meine Schultern brennen, und meine Handballen verkrampfen sich und werden steinhart, bis ich kaum noch zupacken kann. Etwas huscht über meine Hand, und ich zucke unwillkürlich zurück. Ein Schmerz, der mir den Atem aus den Lungen presst, schießt meinen Finger hinauf, und warme Flüssigkeit rinnt über meine Handfläche. Ich habe mir einen Fingernagel abgerissen.
Ich versuche, den Schmerz zu ignorieren und einfach weiterzuklettern. Es ist so dunkel, dass ich nicht erkennen kann, wie weit ich noch hinaufmuss, und ich will keine Zeit mit einem Blick zurück verschwenden, um herauszufinden, wie groß die Strecke ist, die ich schon zurückgelegt habe. Das Blut macht meine Hand glitschig, und es fällt mir noch schwerer, mich festzuhalten; die Muskeln in meinen Unterarmen verkrampfen sich nun ebenfalls. Als ich vorsichtig die Hand über den Kopf hebe, spüre ich, dass der Steilhang sich hier erst leicht zurückneigt und sich dann über meinen
Kopf hinauswölbt. Unmöglich, darüber hinwegzuklettern. Meine Muskeln drohen schon jetzt aufzugeben. Also taste ich mich mühsam seitlich weiter und versuche, einen anderen Weg nach oben zu finden.
Diese Auswaschung ist ziemlich breit. Spinnweben kleben an meiner Haut, während ich mich Schritt für Schritt zur Seite bewege, aber ich widerstehe dem Drang, sie mir aus dem Gesicht zu wischen. Während ich konzentriert weiterklettere, bete ich, verzweifelt bemüht, über den Feuerstein wieder mehr Wärme in meine steifen Glieder zu bekommen.
Endlich fühle ich eine Lücke im Hang über mir. Hastig klettere ich nach oben und fürchte beinahe, jeden Augenblick entdeckt zu werden. Mein rechter Unterarm schiebt sich über einen breiten Sims. Nein, es ist tatsächlich der Rand der Klippe. Fast weine ich vor Erleichterung, als ich den Rest meines Körpers hinaufstemme. Meinen zitternden Beinen traue ich nicht, deswegen rolle ich mich noch ein Stückchen weiter.
Ich sollte nicht ausruhen, sondern sofort aufspringen und nach Westen laufen, bemüht, den Lichtschimmer von Inviernes großem Heer immer im Rücken zu behalten. Aber meine Glieder weigern sich. Ich bleibe ausgestreckt liegen, halte den Atem an, sehe zum sternenübersäten Himmel auf. Abseits der Lagerfeuer leuchten die Sterne hell. Weiße Funken auf einer schwarzen Decke.
Die Schönheit des Nachthimmels spendet mir auf seltsame Weise Trost. Sie ändert sich nie, ist immun gegen die Kriege dieser Welt. Etwas, worauf man zählen kann. Mühsam komme ich auf die Beine, dann fange ich an zu laufen.
Ich hätte daran denken sollen, ein wenig Essen zu stehlen. Oder zumindest Wasser. Während ich weiterstolpere, geht in meinem Rücken die Sonne auf, und jetzt wird mir erst richtig klar, in welcher gefährlichen Lage ich mich befinde. Ich bin zu erschöpft, um meinen Verfolgern zu entkommen. Ich habe Durst. Und ich habe keine Ahnung, welchen Weg ich eigentlich einschlagen muss.
Die Angst in meinem Kopf will mich weiterlaufen lassen, ganz egal, wohin, Hauptsache, weiter. Aber eine andere Stimme – eine, die mir in diesen letzten Monaten zunehmend vertraut geworden ist – mahnt, dass ich ohne Wasser und Ruhe bald erledigt sein werde. Ich muss etwas trinken und ich muss schlafen. Sonst werde ich irgendwann vor
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