Der Feuerstein
Hexenkunst und sogar drohende Folter überstanden und konnte fliehen. Das liegt zum großen Teil an meinem Feuerstein. Die Magie des Animagus hätte mich lähmen, das Amulett, das ich nun um meinen Hals trage, hätte mich verbrennen sollen. Aber seine Zauberkunst konnte mir nichts anhaben, und ich kann nur annehmen, dass mich mein Feuerstein beschützt hat. In Homers Afflatus steht, es sei die Aufgabe des Trägers, Hexenkunst mit Hexenkunst zu bekämpfen. Vielleicht meinte er damit diese seltsame Immunität gegen Magie.
Ich wünschte, ich könnte mit Humberto darüber reden. Oder mit Vater Alentín. Plötzlich wird mir schmerzhaft bewusst, dass ich das Ganze am allerliebsten mit Ximena besprechen würde. Ich sehne mich so sehr danach, sie wiederzusehen und mich in ihre starken Arme zu flüchten. Ich hoffe, dass sie nicht erst die Botschaft erhält, es ginge mir gut, nur um wenig später erfahren zu müssen, dass ich hier in der Ödnis gestorben bin.
Ich besteige eine felsige Anhöhe und sehe mich in der zerklüfteten Wildnis um. Schmale Bergrücken schlängeln sich nach Osten, von tiefen Schluchten getrennt, mit Mesquitesträuchern und Wacholdern bestanden, die verkümmert und gekrümmt dastehen wie alte Männer. Ich fühle mich so klein, hier, inmitten dieses riesigen kargen Landes. Mein Alleinsein trifft mich wie ein Tritt in den Bauch. Mein Lächeln vergeht, und mir wird kalt. Aus Gewohnheit bete ich, um mich aufzuwärmen.
Aber die Kälte kommt nun nicht von meinem Feuerstein. Im Augenwinkel sehe ich ein helles Aufblitzen am nördlichen Himmel. Blauschwarze Wolken ziehen in meine Richtung, getrieben von einem eisigen Wind.
Jetzt verfluche ich mich dafür, dass ich mir vor dem Aufbruch noch die Kleider durchnässt habe. Cosmé oder Humberto hätten das besser gewusst. Der Wind frischt auf, mein nasses Gewand klatscht beißend gegen meine Haut. Dabei hoffe ich sogar auf Regen. Regen würde meine Spuren verwischen, und die nassen Kleider sind nicht so schlimm. Aber als ich über meine Spur und eine mögliche Entdeckung nachdenke, wird mir etwas anderes bewusst: Ich stehe auf einem hohen Berggrat und bin für mögliche Verfolger bestens zu sehen.
Auf dem hastigen Abstieg rutsche ich in ein trockenes Bachbett. Aber wie lange wird es trocken bleiben? Humbertos Warnung vor Sturzbächen, die einen leicht mitreißen können, kommt mir wieder in den Sinn, und ich suche die Ränder nach kleinen Nischen ab, die mir Schutz bieten könnten. Die Sonne ist untergegangen, die Landschaft um mich herum ist in Grau getaucht, als ich endlich einen großen Felsblock entdecke, der an einer Seite wie ein kleines Dach überhängt und sich direkt neben einem breiten Wacholderbusch erhebt. Zitternd vor Kälte klettere ich zu ihm hinauf und rolle mich am Fuß des glatten Steins zusammen. Ich wünschte, ich hätte meine Zunderbüchse mit Flintstein und Stahl dabei. Oder wenigstens Cosmés Jerboa-Suppe. Als die ersten dicken Tropfen rund um meine Knie auf den Boden prasseln, frage ich mich, ob ich den Inviernos entkommen bin, um nun hier draußen zu sterben.
Es regnet die ganze Nacht, heftige Regengüsse wechseln sich mit eisigem Nieseln ab. Um zum Grund der Schlucht hinabzusehen, ist es zu dunkel, aber ich kann das Wasser hören, das dort unten entlangströmt, und das Rauschen ist ebenso ohrenbetäubend laut wie der Wind. Die ganze Zeit über bete ich; der Feuerstein kann die größte Kälte vertreiben, aber es ist viel zu ungemütlich, um zu schlafen. Außerdem habe ich Angst, dass ich hier oben den Halt verliere, wenn ich einschlafe, und womöglich in das Wasser falle, das in unbekannter Entfernung unter mir vorüberfließt. Als der Regen endlich nachlässt, beschließe ich, auf den Morgen zu warten und nicht im Dunkeln herumzuklettern. Mir ist schwindlig vor Hunger, ich bin wund, mir ist kalt, und ich weiß, dass ich es niemals schaffen werde. Es ist die längste Nacht meines Lebens.
Der Morgen graut mit blassrosa Licht, zeigt mir eine frische, kristallklare Welt und bringt mir neue Entschlossenheit. Es stimmt, ich bin keine Kriegerin, und ich bin nur sehr ungenügend auf das Überleben in der Wildnis vorbereitet. Aber ich werde den Weg finden. »Du hast einen scharfen Verstand«, hat Belén, der Verräter, gesagt. Der Gedanke an ihn stärkt meine Entschlossenheit. Irgendwie muss es mir gelingen, in Vater Alentíns Dorf zu kommen, um die Menschen zu warnen.
In der Schlucht tost jetzt das Wasser, schlammig und voller
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