Der Feuerstein
lässt den Kopf sinken. »Ich habe es ihnen verraten.«
Cosmé wendet den Blick ab. Jacián starrt Belén wütend an.
»Warum?«, frage ich.
Angespannt wiegt er den Oberkörper hin und her. »Sie haben mir gesagt, sie würden mein Dorf verschonen.« Aber sein Blick ist unstet. Das mag an der Erschöpfung liegen. Doch vielleicht verbirgt er auch etwas vor uns.
Nachdenklich schüttele ich den Kopf. »Das klingt gar nicht nach dir, Belén. Du würdest Cosmé nie so verraten.« Ich fühle den Blick der jungen Frau in meinem Rücken, als ich in die Knie gehe und mich zu Beléns zerstörtem Gesicht hinunterneige. »Warum hast du es getan?«
Er wiegt sich weiter hin und her.
»Belén?«
»Ich habe dich zu den Toren des Feindes gebracht!«, zischt er. »Ich dachte, das sei das Richtige!«
Verblüfft zucke ich leicht zurück. »Du hast geglaubt, Homers Prophezeiung zu erfüllen?«
Er nickt, mag mir aber noch immer nicht ins Gesicht sehen. »Ich wusste, die anderen würden entkommen können. Und ich dachte, du müsstest in das Lager des Feindes geraten. Ich dachte, das sei der Wille Gottes.«
Der Wille Gottes. Wie oft muss ich noch hören, dass jemand
meint, er hätte verstanden, was mir selbst so unbegreiflich bleibt?
Humberto macht einen Schritt nach vorn. »Aber dann ist etwas geschehen, und du hast deine Meinung geändert«, sagt er. In seinem Gesicht ist keine Spur der Trauer und Verzweiflung, die Cosmé anzusehen sind. Stattdessen scheint er wütend zu sein.
Belén hört mit dem Hin- und Herwiegen auf. »Sie ist entkommen«, sagt er schlicht. »Und Inviernes ganzes Heer begann wild zu feiern. Einer ihrer Leute war getötet worden, ein Animagus, aber trotzdem haben sie gefeiert.«
»Das verstehe ich nicht«, sage ich.
»Sie haben gefeiert, weil sie dich entdeckt haben, Elisa. Die Trägerin. Nur die Trägerin hätte einem Animagus entkommen, ihn mit Feuer vernichten können, so, wie du es getan hast. Sie haben dich seit Jahren gesucht, und dann bist du ihnen direkt in die Arme gelaufen.«
»Was wollen sie von ihr?«, fragt Alentín.
»Sie wollen ihren Feuerstein. Neun haben sie schon. Fast zweimal die Zahl göttlicher Vollendung. Sie brauchen nur noch einen weiteren, einen lebenden.«
»Sie brauchen zwei weitere«, sage ich entschlossen, und damit ziehe ich das Amulett unter meinem Gewand hervor und halte es hoch. »Diesen hier habe ich dem Animagus abgenommen.«
Aber Alentín scheint mich nicht zu hören. »Wie in Gottes Namen ist es ihnen gelungen, neun Feuersteine zu erbeuten?«
Humberto zuckt mit den Schultern. »Vielleicht haben sie die Gräber toter Träger geplündert.«
Cosmé wirft ihrem Bruder einen angewiderten Blick zu.
»Viele Träger haben ihre Aufgabe nie erfüllt«, überlegt Jacián. »Oder sie wurden nie erkannt. Vielleicht deshalb, weil sie von Inviernos getötet wurden, die ihre Feuersteine an sich nahmen.«
Alentín hebt eine Augenbraue. »Falls das stimmt, dann müssen sie schon seit Jahrhunderten Feuersteine gesammelt haben.«
»Oder vielleicht«, füge ich langsam hinzu, »kamen auch einige Träger aus Invierne.«
Die anderen sehen mich skeptisch lachend an. Sogar Belén rümpft die Nase, so abwegig erscheint ihm diese Idee. Aber sie wollen es einfach nicht verstehen. Mir wäre es wesentlich lieber, wenn ich daran glauben könnte, dass die Inviernos ihre Feuersteine ohne Gewalt in die Hände bekommen haben. Sonst müssten wir davon ausgehen, dass sie schon seit Jahrhunderten unter uns umgingen und uns bestohlen haben – und wir nun bald erleben werden, wie ein uralter Plan in Erfüllung geht.
Aber was für ein Plan kann das sein? »Was könnten sie mit zehn Feuersteinen tun?« Meine Stimme schwankt bei dieser Frage.
Endlich sieht Belén mich an. Blickt mir direkt ins Gesicht. »Hexerei. Im Augenblick benutzen sie ihre Amulette, um ein kleines bisschen der Magie zu erwecken, die unter der Erde fließt. Mit zehn Feuersteinen könnten sie diese Kraft endgültig entfesseln.«
»Warum?« Die Scriptura Sancta verbietet den Gebrauch von Magie. Dafür muss es einen Grund geben.
Aber Belén zuckt nur mit den Schultern. »Ich weiß es
nicht genau. Ich spreche die Lengua Classica nicht fließend, und sie reden mit so einem komischen Akzent. Nach einer Weile taten die Verbrennungen so weh, und als sie mir das Auge genommen haben, konnte ich nicht mehr denken …« Sein Kopf sackt wieder zur Seite, und ein Muskel auf seiner Wange zuckt, als er sich in der Erinnerung
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