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Der Feuerstein

Der Feuerstein

Titel: Der Feuerstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rae Carson
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zu untermauern, aber diese ist die wichtigste.«
    »Die anderen Träger, die aus Joya stammten – hat man sie auch über alles im Ungewissen gelassen?«
    »Nein. Nur Euch und Hitzedar den Bogenschützen.«
    Ich stütze den Kopf in die Hände und versuche, das alles zu begreifen. Vater Nicandro hat nicht all meine Fragen beantwortet, aber ich bin zu müde, um mir in Erinnerung zu rufen, was ich sonst noch wissen wollte. Voll Sorge denke ich darüber nach, was Ximena tun wird, wenn sie erfährt, dass ich von Homers Afflatus weiß. Vielleicht wäre es am besten, wenn ich es ihr nicht sage. Und was, wenn die Anhänger der Vía-Reforma recht haben? Was, wenn ich von all dem wirklich nichts erfahren darf?
    »Vater.« Es ist scheußlich, wie meine Stimme zittert, aber ich kann es nicht verhindern. »Was erwartet mich an den Toren des Feindes?«
    »Mein gutes Kind, das kann ich Euch nicht sagen. Das weiß niemand. Wir wissen lediglich, dass der Träger großen Gefahren gegenüberstehen wird.«
    »Aber ich werde am Ende doch siegen, oder nicht? Ich meine, es heißt doch: ›Die rechtschaffene rechte Hand Gottes ist stark und mächtig.‹«

    »Auch das kann ich nicht sagen. Ich möchte Euch keine Angst machen, aber ich finde es beunruhigender, was in den Schriften nicht gesagt wird. Nirgendwo steht, dass der Steinträger die Oberhand behält.« Er dreht das Schriftstück um. »Seht Euch das an.«
    Es ist eine Liste mit Namen und den dazugehörigen Daten. Etwa alle hundert Jahre ein neuer Name, dazwischen einige überraschende Lücken. Am Ende entdecke ich meinen eigenen. Lucero-Elisa de Riqueza. Er wurde erst kürzlich hinzugefügt, denn die Tinte ist dunkler, und die Buchstaben sind nicht verlaufen. Ich sehe sie staunend an. Homer führt die Liste an. Hitzedar der Bogenschütze steht nur wenige Zeilen über mir.
    Die Träger, die mir vorangegangen sind. Echte Namen, echte Menschen.
    »Da gibt es Lücken.« Ich sehe Nicandro fragend an.
    »Ja. Unsere Aufstellung ist unvollständig. Entweder gingen die entsprechenden Geschichten verloren, oder einige der Träger wurden niemals erkannt.«
    Ein erschreckender Gedanke. »Wie wäre das möglich?«
    Er zuckt mit den Schultern. »Vielleicht lebten sie weit von einem Kloster entfernt, wurden in Aberglauben erzogen und wussten nichts von ihrem Schicksal. Vielleicht starben sie oder wurden getötet, bevor sie ihre Aufgabe erfüllen konnten. Wer weiß das schon?«
    »Also kann das geschehen.« Meine schlimmsten Ängste bestätigen sich. Das Schicksal ist viel zu flatterhaft, als dass es sich von einem so kleinen Ding wie einem Juwel kontrollieren ließe. »Es kommt vor, dass jemand stirbt, bevor er seine Aufgabe erfüllt.«

    »Oh ja. Von den hier Genannten«, seine Hand fährt in einem weiten Bogen über die Liste, »haben weniger als die Hälfte erkennbare Aufgaben erfüllt. Und die meisten kamen jung und auf brutale Weise ums Leben. Wie Hitzedar der Bogenschütze, der mit einem Pfeil im Herzen starb.«
    Keine besonders guten Aussichten.
    Ein heftiger Schmerz baut sich hinter meinen Augen auf, ein Druck wie von Sorgen und unvergossenen Tränen. Ich massiere meine Nasenwurzel und frage: »Wieso sagt Ihr mir das alles? Meine Kinderfrau … sie ist wohl auch …«
    »Sie ist Eure Beschützerin. Lady Ximena würde ihr Leben für Euch opfern.«
    »Sie ist meine Kinderfrau.« Natürlich ist sie mehr als nur das, aber ich bin müde und starrköpfig.
    »Der Beschützer wird vom nächstgelegenen Kloster ausgewählt, um über den Träger zu wachen. In Orovalle gehörte es zudem sicherlich auch zu seinen Aufgaben, Euch über bestimmte Prophezeiungen in Unkenntnis zu halten.« Er wendet den Kopf und sieht in die Dunkelheit. »Es wäre mir recht, wenn sie von unserer Unterhaltung nichts erführe. Als oberster Priester des Klosters zu Brisadulce ist es an mir, Euch zu unterweisen und auf Euren Weg vorzubereiten, so gut es mir irgend möglich ist. Aber ein Anhänger der Vía-Reforma würde das sicherlich völlig anders sehen.«
    Ximena hat mehr getan, als über mich zu wachen. »Sie hat kürzlich einen Mann getötet, weil er entdeckte, dass ich den Stein trage.« Ich versuche, eine Reaktion auf meine Worte zu erkennen, aber Vater Nicandros scharfe Züge bleiben unbewegt. »Mit einer Haarnadel«, setze ich hinzu und stelle
zufrieden fest, dass nun doch ein verräterisches Zucken über sein Gesicht geht.
    »Lady Ximena ist eine bemerkenswerte Frau.« Respekt schwingt in seiner Stimme mit, aber

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