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Der Feuerstein

Der Feuerstein

Titel: Der Feuerstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rae Carson
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wissen, was passieren wird und ob meine Feinde vielleicht noch hinter der nächsten Ecke lauern.
    Mein Magen schmerzt, so leer ist er. Und ich muss mich erleichtern. Aber ich rühre keinen Finger, wage es nicht einmal, tief zu atmen. Mein Unterkörper schmerzt vor unterdrücktem Harndrang und weil ich meine Beine so dicht an den Körper ziehe. Trotzdem gelingt es mir irgendwann, einzudösen, unterstützt von der Wärme der inbrünstigsten Gebete meines Lebens. Bitte schütze Humberto und Cosmé und Jacián und Belén. Lass ihnen die Flucht gelingen. Lass sie überleben.
     
    Als ich aufwache, ist mein Rücken steif wie Stein und mein Magen wie ein Loch in meinem Bauch, das vor Hunger pulsiert. In der Höhle herrscht tiefste Dunkelheit, weshalb ich sicher bin, dass ich zumindest bis zum späten Nachmittag geschlafen haben muss, vielleicht sogar länger. Leise taste ich nach meinem Rucksack und ziehe an den Schnüren. Überrascht merke ich, wie leicht meine Finger die Knoten erfühlen und sie öffnen, dann hole ich mein Päckchen mit dem
Trockenfleisch hervor. Das Kauen der getrockneten Streifen Hammelfleisch, in Salz eingelegt und dann mit Honig gesüßt, beruhigt mich, obwohl sie an meinen Zähnen kleben bleiben, als ich abzubeißen versuche. Anschließend nehme ich einen kleinen Schluck aus dem Wasserschlauch und frage mich gleichzeitig, ob ich nicht lieber sparsam sein sollte; schließlich weiß ich nicht, wie lange ich noch in dieser Höhle ausharren muss. Dann taste ich in meinem Rucksack herum und versuche herauszufinden, was Humberto mir eingepackt hat. Noch ein Päckchen mit Vorräten, ein zweiter Wasserschlauch, eine Kerze, ein Messer, eine Zunderbüchse. Zwar habe ich noch nie selbst Feuer gemacht, aber immerhin den anderen zugesehen. Das kann nicht so schwer sein.
    Das Messer schiebe ich unter die Kamelhaarumwickelung über dem Schaft meiner Stiefel. Aber bevor ich irgendetwas anderes tun kann, muss ich mich erleichtern. Zuerst überlege ich, hier oben in der winzigen Höhle ein Loch zu graben, aber dann wäre ich gezwungen, anschließend auf meinem eigenen Dreck zu sitzen. Da ist es doch besser, die Felsspalte hinunterzuklettern und dann vor dem Morgengrauen wieder zurückzuhuschen.
    Ganz langsam und geräuschlos schiebe ich mein Bein über den Felssims, packe die Kante mit den Händen und ziehe das andere Bein nach. Auf dem Bauch, die Beine voran, rutsche ich langsam die Schräge hinab und lasse erst im letzten Moment los, wobei ich vermutlich viel zu laut erleichtert aufatme, als meine Füße auf dem Sandboden aufkommen. Dann richte ich mich auf und lausche einen Augenblick. Nichts. Ich mache probeweise ein paar Schritte. Noch immer ist nichts zu hören.

    Ich wage es nicht, mich zu weit zu entfernen, denn ich bin mir nicht sicher, ob ich den Weg im Dunkeln wieder zurückfinden würde. Es ist schon eine große körperliche Erleichterung, in der Hocke zu sitzen. Vorsichtig schippe ich ein wenig Sand beiseite und halte immer wieder inne, um zu lauschen. Dann taste ich auf dem Boden nach der Vertiefung, die ich geschaffen habe, und markiere die tiefste Stelle mit meinem Zeh, während ich meine Kleider hebe und das Zugband meines Schlüpfers löse. Mein Bedürfnis ist inzwischen unglaublich dringend, und ich schaffe es fast nicht mehr, mich rechtzeitig wieder hinzuhocken.
    Da höre ich Stimmen, schleifende Schritte.
    Es bleibt mir nicht genug Zeit, um fertig zu werden. Mit einem Ruck reiße ich den Schlüpfer wieder hoch und renne zur Spalte zurück, während warmer Urin noch an meinem Bein herunterrinnt. Der Kalkstein ist zu glatt, zu weich. Zwar schaffe ich es, mich ein Stückchen hochzuziehen, und ich kralle mich am Stein fest, ohne auf das Brennen meiner Fingerspitzen zu achten, aber meine Beine verheddern sich in dem nicht wieder richtig zugebundenen Höschen. Die Stimmen kommen näher. Meine Bemühungen, hinaufzuklettern, werden immer hektischer, aber jedes Mal, wenn meine Finger einen Halt finden, rutsche ich mit dem Fuß weg. Tränen der Angst laufen über mein Gesicht. Dann verwandelt sich der Feuerstein in Eis, und ich stöhne vor Schreck auf. Meine Fingerspitzen werden steif. Ich verliere den Halt und rutsche wieder hinab, komme mit dem Hintern auf dem Boden auf, und mit einem heftigen Stoß wird mir die Luft aus den Lungen gepresst.
    Fackellicht blendet meine Augen. Ruppige Hände packen
mich an der Schulter. Sie reißen mich hoch, drehen mich um. Ich sehe blasse Gesichter, verfilztes Haar,

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