Der Feuerthron
Wasser. Ilna V. eilte zur Bordwand und schaute hinter dem Stoffbündel her. Es sank innerhalb von drei Herzschlägen so tief, dass es nicht mehr zu erkennen war. Das erschien ihr wie ein Symbol. Ebenso wie ihre Fahne war auch ihr Königreich untergegangen.
Die großen Galeeren hielten sich außerhalb der Reichweite der ilyndhirischen Schiffsgeschütze, aber mehrere kleinere Schiffe kamen schnell näher. Drei von ihnen steuerten das Flaggschiff an. Zerlumpt aussehende ardhunische Piraten drohten mit ihren Schwertern, und es flogen sogar einige Pfeile, die jedoch keinen Schaden anrichteten. Dann erklangen mehrere scharfe Kommandos, und die Ardhunier wurden still. Auf dem Achterdeck der Schiffe tauchten nun breite, massige Gestalten in schwarzer Rüstung auf, deren eiserne Masken gefährliche oder hässlich verzerrte Tierfratzen darstellten. Auf einen Befehl hin legte das vorderste Schiff an dem Segler aus Ilyndhir an, und gut ein Dutzend Ardhunier sprangen an Bord. Sie drohten mit ihren Waffen, wurden aber nicht handgreiflich, obwohl Fürstin Ardheela sie als Verräter und Schurken beschimpfte. Kurz nach ihnen betraten drei der schwarz gerüsteten Krieger das Deck.
Es waren die ersten Gurrländer, die Königin Ilna sah, und sie wirkten auf sie so erschreckend, dass sie sich hinter ihren Hofdamen verbarg.
Der Anführer der Gurrländer unterschied sich von seinen Kameraden durch einen daumennagelgroßen Kristall auf seinem Helm. Dieser glühte nun schwarz auf, und der Mann schritt genau auf Ilna V. zu. Da alle, die ihm im Weg standen, sich rasch beiseitedrängten, stand die Königin plötzlich allein da.
»Im Namen seiner glorreichen Herrlichkeit, des Kaisers des Groß-Gurrländischen Reiches, bist du meine Gefangene, ebenso wie alle, die sich auf diesem Schiff befinden. Liefert eure Waffen ab und kommt einzeln von Bord. Wenn einer versuchen sollte, eine magische Waffe einzusetzen, werdet ihr alle dafür büßen!«
Die Stimme des Gurrländers dröhnte so laut über das Deck, dass sie auf den nächstgelegenen Schiffen zu hören sein musste. Dabei sah der Mann sich so misstrauisch um, als erwarte er, einer der Ilyndhirer oder Malvoner könne versuchen, sich selbst und den eng zusammenliegenden Pulk der Schiffe durch eine magisch herbeigeführte Explosion zu vernichten.
Doch es geschah nichts. Die meisten Hexen und Magier waren bei Yanga in der Hauptstadt zurückgeblieben, und die wenigen magisch Begabten, die im Gefolge der Königin reisten, waren Heiler und ähnlich friedliche Bedienstete. Wenige Augenblicke später wehten von den sechs großen Galeeren dunkle Wolken herüber, die sich wie erstickender Dampf über die ilyndhirischen und malvonischen Schiffe legten und die Gedanken und Bewegungen der Passagiere und Besatzungen lähmten. Ilna, Tendel, Ardheela und ihre gesamte Begleitung vermochten nur noch den Befehlen zu gehorchen, die ihnen die Gurrländer gaben. Auf deren Anweisung legten sie ihre Kleidung ab und schlüpften in derbe Kittel, die ihnen die spottenden Ardhunier reichten. Noch bevor die Sonne sich zur Gänze vom Horizont gelöst hatte, um ihren Weg über das Himmelszelt anzutreten, waren eine Königin, ein König, eine Fürstin und deren gesamtes Gefolge versklavt worden.
5
In der See von Runia hatte Hekendialondilan sicher navigi eren können, denn dort konnte sie sich an den mit weißer Magie erfüllten Meeresströmungen orientieren. Als ihre Heimatinsel immer weiter hinter ihr zurückblieb, wurde sie unsicher. Zwar kannte sie die Sterne, die über ihnen am Himmelszelt standen, und vermochte auch zu sagen, wie viele Meilen offener See zwischen ihrem Schiff und Runia lagen. Doch von den Inseln, die bald vor ihnen auftauchen mussten, wusste sie nichts als die Namen und die Richtung, in der sie liegen sollten. So waren wieder Kips Fähigkeiten gefragt, und er bildete sich nicht wenig darauf ein. Zwar kannte auch er die Gewässer, die sie befuhren, nicht aus eigener Erfahrung, aber er hatte aufmerksam den Fischern und Seehändlern zugehört, wenn sie über ihre Fahrten sprachen. Derzeit steuerte Hekendialondilan nach seinen Anweisungen Girdania an, Gurrlands kleinere, nördlich gelegene Nachbarinsel.
»Die Küste müsste bald in Sicht kommen!«, sagte Kip und warf einen prüfenden Blick auf die drei Monde, die an diesem Abend am Himmel standen. Zu seiner Erleichterung befand sich der blaue Mond unter ihnen, der ihnen Ilynas Segen spenden konnte. Auf dieser Fahrt, das erklärte er den anderen, hatten
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