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Der Feuerthron

Der Feuerthron

Titel: Der Feuerthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Hannez atemlos. Wie die meisten Bewohner der Inseln war er überzeugt gewesen, um den Archipel herum gebe es nichts anderes als das endlose Meer. Allerdings berichteten die Sagen seines Volkes, dass Ilna I. und Ward I. übers Meer gekommen seien, um die Inseln des Nordens zu besiedeln. Obwohl er inzwischen wusste, dass es sich dabei nur um ein Märchen handelte und die Ahnen der Bewohner Ilyndhirs und Wardanias als Wassurams Sklaven hierhergebracht worden waren, lag doch ein Körnchen Wahrheit darin.
    »Wie war dieses Land? Gab es dort Inseln wie bei uns?«, fragte er.
    Die Geisterfrau zuckte mit den Schultern. »Ich habe kaum noch Erinnerungen daran. Wassuram hat unsere Gedanken daran ausgelöscht; wir sollten niemals die Möglichkeit haben, dorthin zurückzukehren. Nur ein Unterschied ist mir im Gedächtnis geblieben: In jenem Land steht die Sonne zu Mittag im Süden und nicht, wie wir es hier gewohnt sind, im Norden.«
    »Das gibt es nicht!«, platzte Talei heraus. Auch die anderen schüttelten die Köpfe, denn das konnten sie sich nicht vorstellen. Die Bahn der Sonne musste doch überall gleich sein. Doch sie wagten nicht, der Geisterfrau zu widersprechen.
    »Sehnst du dich in jenes Land zurück?«, wollte Meraneh von ihrer Ahnfrau wissen.
    Meravane lachte hell auf. »Als Geist? Natürlich nicht! Ich will nur noch meine Aufgabe erfüllen. Dann trete ich den Weg zu Ilynas Seelendom an. Selbst als Lebende würde ich nicht freiwillig in Giringars Land zurückkehren, denn dort war ich nur eine Sklavin der Schwarzmagier.«
    »In ein solches Land würde ich auch nicht gehen wollen!« Hannez’ Bemerkung beendete den Ausflug in die Vergangenheit, und alle an Bord richteten ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Insel, deren gebirgige Küste im Nordosten über die Kimm ragte. Die Berge wirkten abweisend und bedrohlich, doch das lag Meravanes Worten zufolge weniger an ihrem Aussehen als an der Ausstrahlung, die das Land einhüllte.
    »Der Kaiser regiert mit Angst und geistiger Unterwerfung. Das ist unsere Chance. Unsere Gedanken sind schneller als die seiner Untertanen und auch nicht durch Befehle und Vorschriften eingeengt. Wir sind wie Füchse, die ein Rudel Wölfe überlisten wollen.«
    »Ich hätte nichts dagegen!« Hemor klopfte gegen das Schwert, das er umgeschnallt hatte. Es handelte sich nicht mehr um jenes juwelenbesetzte Schmuckstück, mit dem er nach Gelonda gefahren war, sondern um die einfache Klinge eines Soldaten, die Hannez ihm aus Ilynrah mitgebracht hatte. Aus dem blasierten Höfling war ein Kämpfer geworden, der sein Brot mit einfachen Leuten teilte und mit ihnen über ihre Scherze lachte. Derzeit war ihm weniger zum Lachen zumute, aber der Gedanke, in die große Grotte einzudringen, in der der Feuerthron stand, und den Kaiser von Gurrland am Bart zu ziehen, faszinierte ihn, je näher sie dessen Reich kamen.
    Er grinste und versetzte der Geisterfrau einen Rippenstoß, der seine Wirkung jedoch verfehlte, da ihr Leib seinem Ellbogen keinen Widerstand bot. »Das wird ein Spaß, über den die Leute noch in hundert und vielleicht sogar noch in tausend Jahren sprechen werden.«
    »Aber nur, wenn wir erfolgreich sind. Die Sklaven des Feuerthrons werden sich kaum dafür interessieren.« Hannez bleckte die Zähne in Richtung der Küste und änderte dann den Kurs des Bootes um ein paar Strich, um nicht zu nahe unter Land zu geraten.
    In Meraneh wühlte der Anblick alle Ängste und Sorgen auf, und daher wandte sie sich an ihre Ahnin. »Berichten die Winde etwas über meine Tochter?«
    Meravane wirkte einen Augenblick, als hielte sie ihr Gesicht so in den Wind, dass er ihr über die Wangen strich. »Er erzählt so einiges von ihr. Doch lass es mein Geheimnis bleiben. Sollten die Knechte des Kaisers einen von euch gefangen nehmen, würden sie ihm dieses Wissen rasch entreißen. Einen Geist wie mich kann man jedoch nicht so leicht einfangen und foltern.«
    Die Geisterfrau lächelte zufrieden. Daher nahm Meraneh an, es ginge Mera gut, und atmete erleichtert auf.
5
    Der letzte Tag der Flussfahrt wu rde für Mera zur Geduldsprobe. Der Zauber des Kaisers war inzwischen so stark geworden, dass das gesamte Land unter einem dichten schwarzen Schleier aus bösartiger Magie lag, die jede andere Farbe erstickte. Selbst in den Sklaven, die ihrem Aussehen nach von den Ardhunischen Inseln oder aus Gelonda stammten, war ihre natürliche Farbe wie ausgelöscht. Für Meras magische Sinne wirkten sie so schwarz, als seien sie Anhänger

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