Der Findling
und in dieser Nacht hätten alle Glockenspiele der Kathedrale, aller Lärm der Freiheiten ihren Schlaf nicht zu stören vermocht.
Am folgenden Tage standen sie frühzeitig auf; sie wollten auf Recognoscierung ausgehen und vorzüglich vielleicht Grip aufsuchen, was ja nicht schwierig sein konnte, wenn der »Vulcan« in seinem Heimathafen wieder zurück war.
»Birk nehmen wir doch mit? fragte Bob.
– Natürlich, antwortete Findling, er muß doch die Stadt kennen lernen.«
Birk ließ sich darum nicht bitten.
Dublin bildet ein Oval, dessen großer Halbmesser drei Meilen beträgt. Die von Westen nach Osten fließende Liffey scheidet es in zwei fast gleich große Theile. An ihrer Mündung verbindet sich der Strom mit einem, die Stadt umrahmenden doppelten Canal – im Norden dem Royal-Canal, der sich an der Midland-Great-Western hinzieht, im Süden dem Grand-Canal, der bis Galway reicht und den Atlantischen Ocean mit dem Irischen Meere verbindet.
Die Saint-Patrick-Street zählt unter ihren Bewohnern – und zwar als den wohlhabensten – zahlreiche jüdische Trödler. Von diesen Händlern entnehmen die Paddys der untern Volksclassen alles, was zu ihrer sehr primitiven Kleidung gehört, ausgebesserte Leibwäsche, abgetragene Röcke, Hosen mit aufgesetzten andersfarbigen Flicken, unbeschreibbare Männerhüte und Frauenhüte mit unmöglichen Federn. Hier versetzen die Leute auch ihre Lumpen für wenige Pence, die sie dann in den benachbarten »Inns«, wo Whisky und Gin verschänkt werden, schnellstens vertrinken. Jene Kramläden erregten schon die Aufmerksamkeit Findlings.
Jetzt zu früher Morgenstunde waren die Straßen fast menschenleer. Man steht spät auf in Dublin, wo es übrigens nicht viel Industrie giebt. Werkstätten findet man fast gar nicht, außer den Etablissements, die Seide, Flachs, Wolle und vor allem Popeline (Halbseidenstoffe) erzeugen, deren Fabrication einst durch Franzosen eingeführt wurde, welche in Folge der Aufhebung des Edicts von Nantes hier eingewandert waren. Brauereien und Brennereien stehen dagegen in hoher Blüthe. Hier erhebt sich die großartige und weitberühmte Whiskybrennerei von Roe, dort die ausgedehnte Stoutbrauerei von Guineß, die einen Werth von hundertzwanzig Millionen Mark haben soll und die durch unterirdische Canäle mit dem Victoria-Dock in Verbindung steht, von wo hunderte von Schiffen ausgehen, die das Bier nach beiden Welten befördern. Ist aber die Industrie dürftig, so nimmt der Handelsverkehr wenigstens immer mehr zu, und was die Ausfuhr von Schweinen und Rindern betrifft, hat sich Dublin unter den Häfen des Vereinigten Königreichs sogar zum ersten Range emporgeschwungen.
Findling wußte das, da er den volkswirthschaftlichen Theil der Zeitungen und Broschüren, die er verkaufte, stets zu lesen pflegte.
Während sie nach der Liffey wanderten, verloren Bob und er nichts Bemerkenswerthes aus den Augen. Bob schwatzte unterwegs nach alter Gewohnheit.
»O, diese Kirche!… Ah, dieser Platz!… Welch’ ungeheures Gebäude!… Welch’ schöner Square!«
Das genannte Gebäude war die Börse, die Royal-Exchange. In der Dame-Street lag die City-Hall, die Commercial Building, der Sammelplatz für die Kaufleute der Stadt. Weiterhin erschien das Schloß auf dem Rücken des Cork-Hill, mit seinem großen, zinnengekrönten Thurm und den schwerfälligen Backsteinmauern. Früher ein von Elisabeth ausgebautes Festungswerk, dessen Spuren man kaum noch wiederfindet, dient es jetzt als Amtswohnung des Lord-Lieutenant und als Sitz der Civil-und Militärbehörden.
Findling durchzog den Stadttheil »die Freiheiten«. (S. 335.)
Darunter breitet sich der Steffen-Square aus mit einer Reiterstatue Georgs I., die von üppigen Rasenplätzen und schönen Bäumen umgeben ist. Die Einfassung des Square aber bilden ebenso traurige wie symmetrische Häuser, unter denen der Palast des protestantischen Erzbischofs und der Boardroom die umfänglichsten sind. Weiter nach rechts liegt dann der Merrion-Square, wo sich die alte Ritterburg von Leinster, das Hôtel der königlichen Gesellschaft, mit korinthischer Façade und dorischem Vestibül, erhebt und an dem auch das Geburtshaus O’Connell’s liegt.
Findling ließ Bob plaudern und gab sich seinen Gedanken hin. Er bemühte sich, aus dem, was er sah, einen praktischen Nutzen zu ziehen. Noch wußte er ja nicht, was er mit seinem kleinen Vermögen beginnen, welche Art von Handel er mit Aussicht auf Erfolg anfangen sollte.
Auf ihrem
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