Der Finger Gottes
werden.«
»Dann gehen Sie und teilen Sie ihm mit, es sei außerordentlich wichtig.«
»Wie Sie wünschen«, sagte Herta und verschwand um die Ecke. Als sie zurückkehrte, bat sie Brackmann mit einer Handbewegung, ihr ins Haus zu folgen.
Phillips’ massiger, unförmiger Körper war in einen Sessel gezwängt. Schweiß rann in Bächen über sein feistes, rosig glänzendes Gesicht mit den dicken Tränensäcken. Auf dem Tisch stand in einer schmalen Vase eine tiefrote Rose, der Phillips seine ganze Aufmerksamkeit widmete. Brackmann kannte Phillips und wunderte sich deshalb nicht, daß der Bürgermeister bei dem Chaos, das in der Stadt herrschte, seine Zeit an Rosen verschwendete.
»Tag, Brackmann«, sagte er, ohne aufzublicken. »Was führt Sie zu mir?«
»Eine etwas delikate Angelegenheit. Wie mir scheint, haben Sie das Unwetter der vergangenen Nacht ganz gut überstanden, oder?« erkundigte er sich anzüglich.
»Wie man’s nimmt! Mein Garten hat furchtbar gelitten. Ich werde viele der Pflanzen neu setzen müssen«, sagte Phillipstraurig, während er mit einer Pipette ein paar Tropfen einer zähen Flüssigkeit in die Blüte tropfen ließ. »Ich habe nicht viel Zeit, Brackmann, also schießen Sie los. Heute morgen war ein Fernsehteam hier, und in einer Stunde wollen mich schon wieder welche interviewen. Stressig, kann ich Ihnen sagen, sehr stressig! Nun, das ist eben der Preis dafür, daß man Bürgermeister ist und im Rampenlicht steht.«
Brackmann ignorierte Phillips’ Wichtigtuerei. »Haben Sie geschlafen, als der Tornado losbrach?«
»Natürlich habe ich geschlafen, was denn sonst?! Die armen Leute, die alles verloren haben!«
»Für viele Bürger kam die Warnung gerade noch rechtzeitig. Ohne das schnelle Reagieren des Wetteramtes müßten wahrscheinlich noch viel mehr Tote beklagt werden. Meinen Sie nicht auch?«
»Hören Sie zu, Brackmann«, sagte Phillips ruhig, ohne aufzuschauen, »wenn Sie damit auf etwas ganz Bestimmtes anspielen wollen, gut. Ich habe einen Fehler gemacht, und ich entschuldige mich dafür. Ich habe das nicht so ernst genommen. Wissen Sie«, sagte er, kniff die Lippen zusammen und drehte die Rose ein klein wenig, »es war nicht die erste Unwetterwarnung, und bisher waren es allesamt Flops, wenn Sie verstehen, was ich meine. Sie wissen doch, Tornados sind nicht berechenbar. Außerdem stehen bald Wahlen an.«
»Von mir aus«, sagte Brackmann, »es ist nicht mein Problem. Und deswegen bin ich auch nicht gekommen. Letzte Nacht, kurz vor dem Tornado, ist in Waldstein ein Gewaltverbrechen verübt worden, eine junge Frau ist vergewaltigt worden. Überfallen und vergewaltigt, um genau zu sein.«
»Na und, was interessiert mich das?! Finden Sie den Täter, und sperren Sie ihn ein! Oder soll
ich
das vielleicht für Sie erledigen?« Phillips sah kurz auf, seine Schweinsaugen blitzten.
»Das habe ich auch vor. Vorab würde ich jedoch gerne Ihrem Sohn ein paar Fragen stellen. Ist er zu Hause?«
»Natürlich ist er zu Hause! Aber was wollen Sie ausgerechnet von ihm? Glauben Sie vielleicht, er ist der Täter? Der weiß doch nicht mal, wozu ein Schwanz zu gebrauchen ist!« Phillips, dieser aufgeblasene, schmierige Fettsack, der nichts mehr liebte als seine beschissenen Rosen, gehörte zu den wenigen Menschen, die in Brackmann stärkste Aggressionen hervorriefen. Doch Brackmann schluckte seine Wut herunter.
»Ich möchte ihm nur ein paar Fragen stellen. Vielleicht kennt er ja jemanden . . . Möglicherweise kennt er sogar den Täter selbst, vielleicht war es sogar ein Freund von ihm.«
»So, ich wußte gar nicht, daß Nathan irgendwelche Freunde hat! Mal ganz was was Neues. Aber bitte, gehen Sie nach oben, zweite Tür rechts. Und klopfen Sie an, er mag es nämlich nicht, wenn man unaufgefordert in sein Zimmer kommt. Weiß der Geier, was er dort immer heimlich macht!«
Brackmann passierte die weiträumige Eingangshalle, die, genau wie die Treppe, mit schweren Teppichen ausgelegt war. Das Haus behagte Brackmann nicht. Die Einrichtung hatte etwas Erdrückendes. Übergroße, düstere Bilder alter Meister an den Wänden, hochgewachsene Pflanzen neben jeder Tür und in jeder Ecke. Alles üppig, wulstig, in dunklen Farben gehalten, und über allem ein muffiger, abgestandener Geruch. Als wäre seit Ewigkeiten nicht gelüftet worden. Im ersten Stock wand sich Efeu quer über das große Flurfenster und verdeckte fast vollständig die Sicht nach draußen, Yukkapalmen reckten sich neben noch mehr dunklen
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