Der Finger Gottes
fast so groß wie Brackmann.
»Vater bringt mich um«, stammelte er leise.
»Keine Angst, solange ich bei dir bin, bringt dich keiner um. Schon gar nicht dein Vater.«
»Darf ich mir was mitnehmen? Zum Lesen?«
»Natürlich.«
Phillips saß noch immer über seiner Rose. Wieder verschwendete er keinen Blick, als Brackmann und Nathanael eintraten.
»Bürgermeister . . .«
»Sie sind ja immer noch da!«
»Ich will Ihnen nur sagen, daß ich Ihren Sohn mitnehmen werde.«
»So? Wohin werden Sie ihn mitnehmen? Kann er Ihnen etwa helfen?«
»Nun, wie soll ich es sagen . . . er hat die Tat gestanden.« Brackmann sprach sehr betont und deutlich. Phillips verharrte einen Augenblick in der Bewegung, die Hand mit der Pinzette begann zu zittern, ein wenig nur, dann hob Phillips den Kopf, den Mund sprachlos geöffnet, schließlich entglitt die Pinzette seiner Hand und fiel zu Boden.
»Was sagen Sie da?« fragte er, seine Stimme bebte, sein fetter Schädel schwoll an, als wollte er gleich in Millionen Stücke explodieren, und nahm die Farbe einer überreifen Tomate an. Seine Stimme wurde lauter. »Würden Sie bitte wiederholen, was Sie da eben gesagt haben?«
»Ich glaube, Sie haben mich richtig verstanden. Ihr Sohn hat Frau Siebeck vergewaltigt. Er hat die Tat gestanden.«
»Du elender, gottverdammter Hurensohn! Nichtsnutz, verfluchter Bastard!« zischte Phillips leise, plötzlich wurde seine Stimme zu einem Brüllen. »Ersaufen hätte man dich sollen, als du zur Welt gekommen bist, an einen Mühlstein binden und an der tiefsten Stelle des Ozeans ins Wasser werfen!« Er sprang auf, um sich auf seinen Sohn zu stürzen, Brackmann ging dazwischen; er mußte ihn gewaltsam zurückhalten, um zu verhindern, daß er Nathanael etwas antat.
»Lassen Sie mich los! Ich werde es diesem gottverdammten Dreckstück zeigen!
Ich
bin der Bürgermeister, die Leute hier haben
mich
schon zum zweiten Mal gewählt, und dann kommt dieser gottverdammte Bastard daher und vernichtet alles, was
ich
mir mühsam aufgebaut habe! Vergewaltigt Frauen!! Ein Verbrecher!!«
»Sicher, Sie sind der Bürgermeister. Aber Sie haben auch einen Sohn.«
»Wissen Sie eigentlich, daß mich das meinen Posten kosten kann?! Die Leute werden mit Fingern auf mich zeigen, mein Ansehen ist dahin, niemand wird mehr in meinem Geschäft einkaufen wollen, und das alles nur wegen diesem, diesem, diesem . . .! Schaffen Sie ihn mir aus den Augen! Sperren Sie ihn ein, von mir aus für immer! Ich will ihn jedenfalls nie mehr sehen!«
»Er ist Ihr Sohn, Herr Phillips! Sie scheinen das vergessen zu haben.«
Die Tür ging auf. »Was ist das für ein Lärm? Ich sitze mitMargot und Johanna, um einen Plan zu machen, wie wir den armen Menschen hier helfen können, aber wir können uns nicht konzentrieren, wenn ihr hier so laut seid! Ach, die Polizei! Nett, Sie zu sehen. Was führt Sie in unser Haus?« Frau Phillips, eine schlanke, mittelgroße attraktive Frau, trat herein, das ovale Gesicht von dunkelbraunen, glatten schulterlangen Haaren umrahmt, die Augen große glühende Kohlen, der Mund voll und sinnlich, die Haut seidig glatt; die Figur mit den vollen, festen Brüsten, die sie nie in einen BH zwängte, und die schlanke Taille hätten nie vermuten lassen, daß sie die Vierzig längst überschritten hatte. Sie war wie stets schlicht, aber elegant gekleidet, das Gesicht vielleicht eine Spur zu auffällig geschminkt, die Fingernägel leuchteten in tiefem Rot. Und obgleich sie wahrscheinlich älter war als Brackmann und er sie als kalt bis ins Zentrum ihrer Seele einschätzte, hatte er schon einigemal davon geträumt, es mit diesem Vollblutweib zu treiben, auf seinem Schreibtisch oder in einer seiner Zellen oder auf seinem Zimmer oder irgendwo, und er hatte sich schon öfter als nur einmal gefragt, was sie veranlaßt haben mochte, einen derart unattraktiven Mann wie Phillips, feist, fett und langweilig bis ins Mark, zu heiraten.
Brackmann war nicht verliebt in sie, weiß Gott nicht, ein Leben an der Seite dieser Frau würde er wahrscheinlich nur wenige Tage aushalten, sie verfügte aber über jene sinnliche Ausstrahlung, die sie für ihn physisch so begehrenswert machte.
»Da«, sagte Phillips aufgebracht und deutete mit seinen wulstigen Fingern auf Nathan, »da, schau ihn dir an, deinen lieben Sohn! Er hat eine Frau überfallen und vergewaltigt! Ausgerechnet er und ausgerechnet in Waldstein! Gestern nacht!«
»Oh!« entfuhr es ihr, sie zog für einen Moment die Stirn in
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