Der Finger Gottes
Engler hat regelmäßig Kontakt zu . . .?«
»Natürlich! Wenn überhaupt einer aus dem Ort Kontakt zuuns hat, dann er. Was glauben Sie wohl, warum wir uns nicht bei ihm versteckt haben?!«
Brackmann war zutiefst irritiert. Und angespannt. In seinem Kopf begann etwas zu kreisen und kam nicht zum Stillstand. Er hatte es nicht wahrhaben wollen, doch plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen, konnte er sich einen Reim auf das seltsame Verhalten von Engler machen. Auf einmal machte es Sinn, dieses ständige Ausweichen auf konkrete Fragen, der stets gesenkte Blick und dieses
Denken Sie dran, was die Vandenbergs alles für Waldstein getan haben!
Die Taktzahl seiner Herzschläge verdoppelte sich für Sekunden, als er sich vorstellte, was passiert wäre, hätte er Engler den Aufenthaltsort der Frauen verraten!
Ihn fröstelte trotz der abendlichen Wärme. Er versuchte, sich seine Irritation nicht anmerken zu lassen. »Warum ich frage?« Er schien immer noch in Gedanken versunken. »Nur so. Ich hatte gedacht, die Vandenbergs würden sich generell von den Leuten im Ort fernhalten. Aber auf der anderen Seite ist es auch verständlich, wenn wenigstens zur Kirche Kontakt gehalten wird. Ist er der einzige?«
»Soweit ich weiß, ja«, sagte Sarah. »Reuter noch, aber das wissen Sie ja schon. Und früher Ihr Vorgänger . . . ich habe seinen Namen vergessen. Ansonsten fällt mir keiner ein.« Sie überlegte, dann hob sie die rechte Hand, ihr war noch etwas eingefallen. »Natürlich, Obert, er ist ihr Notar.« Sie sagte
ihr
und nicht
unser
Notar. »Und Pickard, er hat gerade im letzten Jahr zusammen mit seinen Söhnen das gesamte Dachgeschoß bei uns renoviert. Wenn ich es recht überlege, gibt es schon den einen oder anderen, zu denen Kontakt besteht.«
Engler, dachte er, du verdammter, scheinheiliger Schweinehund! Er würde ihn sich vorknöpfen, bei passender Gelegenheit! Bei Reuter lag die Sache etwas klarer, er stellteoffenbar Atteste auf Wunsch aus, was und ob er außerdem etwas mit den Vandenbergs zu schaffen hatte, mußte noch geklärt werden.
Diese Stadt und ihre Bewohner enthüllten mit jeder Stunde mehr ein Gesicht, das Brackmann zutiefst erschreckte, ihm angst machte. Was, wenn sie ihn bereits observierten? Unten im Schatten der Bäume, unsichtbar für ihn, während sie jede seiner Bewegungen verfolgten, jedes seiner Worte belauschten. Engler hätte den Vandenbergs nur zu sagen brauchen, daß er derjenige war, der den Aufenthaltsort der Frauen kannte! Wenn Engler das getan hatte, dann stand er bereits auf ihrer Liste, wurde überwacht. Er mußte jetzt schnell und überlegt handeln.
»Wann werden Sie uns nach Hof bringen?«
»Noch heute abend, wenn alles glattgeht. Spätestens aber morgen früh. Wir dürfen nicht zu lange warten.«
»Warum tun Sie das für uns? Sie kennen uns doch kaum«, wollte Sarah wissen.
»Ich habe meine Gründe, Frau Vandenberg. Vielleicht werde ich sie Ihnen irgendwann nennen. Aber nicht jetzt. Ich möchte Sie statt dessen jetzt bitten, mir ein paar Informationen zu Ihrer Familie zu geben. Worauf ich zum Beispiel besonders achten muß, wenn ich mit ihnen spreche. Vor wem ich mich besonders in acht nehmen muß und so weiter.«
»Natürlich.«
Sarah faltete die Hände über dem Schoß, legte den Kopf zurück, das lange blonde Haar fiel bis weit über ihre Schultern. »Hüten Sie sich vor Martin und Jonas. Besonders vor Martin, auch wenn er mein Mann ist. Er ist gemein und hinterhältig und vor allem derjenige, der die meiste Macht in der Familie hat. Jeder denkt, daß Jonas das große Sagen hat, aber das stimmt nicht. Er steht nur immer im Mittelpunkt; der Grund liegt ganz einfach darin, daß er medienwirksamerist. Er ist äußerlich das Abbild eines erfolgreichen Mannes, auf seinen Charme fliegen die Frauen reihenweise, und die Wahlversprechungen, die er macht, ziehen. Es müßte schon mit dem Teufel zugehen, wenn er die nächsten Wahlen nicht gewinnt. Sie dürfen sich aber niemals von Martins oder Jonas’ Freundlichkeit blenden lassen, die ist garantiert nur gespielt. Beide beherrschen jeden noch so miesen Trick. Aber Martin ist extrem gefährlich. In Momenten, in denen er besonders freundlich scheint, können Sie sichergehen, daß er bereits das gewetzte Messer in der Hand hält. Der Unterschied zwischen Martin und Jonas liegt lediglich darin, daß Jonas leichter zu durchschauen ist. Wenn er Sie nicht leiden kann, wird er Ihnen das offen ins Gesicht sagen. Und dann ist da noch
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