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Der Finger Gottes

Der Finger Gottes

Titel: Der Finger Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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hätte dadurch noch andere Menschen unglücklich gemacht. Aber vielleicht werde ich irgendwann noch mit unserem Pfarrer sprechen. Denn sollte ich eines Tages sterben, dann möchte ich dies in der Gewißheit tun, mit einem wenigstens einigermaßen reinen Gewissen zu gehen. Ich habe unzählige schlaflose Nächte verbracht und habe seit jenem Tag viele Tränen geweint.
    Ich weiß, daß ich niemals hätte schweigen dürfen. Doch auch ich bin nur ein Mensch mit Fehlern und Schwächen, und es gab triftige Gründe, die mich gehindert haben, mein Wissen weiterzugeben. Einer davon war Angst, denn ich glaube zu wissen, wer die Verantwortung für den Tod des jungen Mannes trägt – Jonas Vandenberg.
    Bitte verzeihen Sie mir diese Unannehmlichkeit. Ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen Erfolg bei Ihrer Arbeit, und sollten Sie versuchen, den Fall zu klären, so möchte ich Sie eindringlich davor warnen, allzu eifrig ans Werk zu gehen, denn Sie wissen selbst, welche Macht und welchen Einfluß die Vandenbergs besitzen. Ich bitte Sie nochmals, mir mein Schweigen zu verzeihen,
    Ihre Maria Olsen
     
    Brackmann ließ das Blatt sinken, der Inhalt explodierte in seinem Kopf. Er las ein zweites, ein drittes Mal. Die bislang für Waldstein gültigen Gesetze von Frieden und Anstand waren auf einmal ad absurdum geführt. Dieser Brief war Sprengstoff pur, reinstes Dynamit, und die Zündschnur schien schon zu brennen.
    »Kann ich ihnen helfen?« fragte Engler, der Brackmanns Verwirrtheit aus den Augenwinkeln registrierte.
    »Keine Ahnung, vielleicht.« Brackmann legte den Kopf zurück und schloß die Augen. Ein Mord, hier in Waldstein, dazu gleich noch die Nennung des Mörders! Oder zumindest des möglichen Mörders oder Anstifters oder welche Rolle immer dieser Jemand bei dem Tod von Höllerich gespielt hatte! Und dieser Mann sollte angeblich nicht irgendwer sein, sondern … Nein, dachte Brackmann, es ist einfach zu unglaublich, um wahr zu sein.
    »Brackmann?«
    »Ja«, sagte er und setzte sich auf, »ich habe nur nachgedacht.«
    »Dann lassen Sie uns anfangen.«
    Brackmann stellte einfach nur eine Frage: »Ich gehe davon aus, daß Sie mit dem Inhalt des Briefes vertraut sind?«
    Engler zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht. Könnte sein«, antwortete er ausweichend. »Ich habe ihn jedoch nicht gelesen, der Umschlag war verschlossen, wie Sie ja selbst gesehen haben.«
    »Kennen Sie einen Alexander Höllerich? Oder haben Sie schon einmal den Namen gehört?«
    »Nein, glaube nicht.« Engler schüttelte den Kopf, ohne Brackmann dabei anzusehen.
    Brackmann faltete den Brief zusammen, steckte ihn zurück in den Umschlag. Nach einer kurzen Pause sagte er trocken: »›Glaube nicht‹ hört sich an wie … könnte sein, könnte nicht sein, möglicherweise, unter Umständen, jein.« Brackmannließ seinen Blick nicht von Engler. Doch Englers Gesicht war eine starre, undurchdringliche Maske, er hatte die Hände aneinandergelegt, berührte mit den Fingerspitzen seine Nase, seine Haltung wirkte angespannt. Er antwortete nichts. Brackmann fuhr fort: »Und was können Sie mir über die Vandenbergs sagen?«
    Englers Anspannung löste sich etwas. »Da fragen Sie mich viel. Tatsächlich. Ich fürchte, ich weiß kaum mehr über diese Familie als Sie.« Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf, lehnte sich zurück, wirkte nachdenklich. »Ich kann im Prinzip an den Fingern einer Hand abzählen, wie oft ich sie gesehen habe. Das letzte Mal, daß ich wirklich engeren Kontakt mit ihnen hatte, war bei der Beerdigung von Esther Vandenberg. Ein armes Ding und eine schreckliche Sache, die keinen hier kaltgelassen hat. Sie hatte zu ihrem achtzehnten Geburtstag einen roten Sportwagen geschenkt bekommen und war damit gleich bei ihrer ersten Fahrt in der Nähe des Steinbruchs tödlich verunglückt. Sie ist mit dem Wagen mehr als fünfzig Meter tief in eine Schlucht gestürzt und verbrannt. Das, was von ihr übriggeblieben ist, haben wir auf dem Friedhof beerdigt. Danach ist der ohnehin eher spärliche Kontakt der Vandenbergs zu Waldstein fast völlig abgerissen, mit Ausnahme der Feiern am 15. Mai. Sie müssen wissen, Esther war so etwas wie ein Bindeglied zwischen den Vandenbergs und den Menschen im Ort gewesen. Immer fröhlich, immer gutgelaunt, sie war einfach unbeschwert, ihr war es egal, ob jemand reich war oder arm, sie machte keine Unterschiede. Sie hob sich in angenehmer Weise vom Rest der Familie ab. Und sie scherte sich einen Teufel um Konventionen.« Eine

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