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Der Finger Gottes

Der Finger Gottes

Titel: Der Finger Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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zusammenhängenden Bild zusammenzusetzen. Und Engler würde ihm dabei helfen, denn er würde Engler keine Ruhe lassen.
    Brackmann stoppte den Wagen vor seinem Büro und stieg aus. Kein Lufthauch mehr, Windstille. Es war kurz nach vier, die Geschäfte hatten wieder geöffnet, ein paar Kinder, die aus den Mauselöchern gekrochen kamen und auf den Gehwegen oder in Gärten spielten. Die Bürgersteige füllten sich mit Menschen, die langsam, mit von der Hitze bestimmten Schritten und ausdruckslosen Gesichtern ihrer Wege gingen. Waldstein war aus seinem Mittagsschlaf erwacht.

Kapitel 4
    Er wippte wieder, wie immer, wenn sein Mittagsschlaf beendet war. Geweckt wurde er von Pickards Leichenwagen, der an seinem Haus vorüberfuhr. Charlie hatte die Hände über dem Schoß gefaltet, sah dem schwarzen Mercedes nach, bis dieser hinter der Biegung verschwundenwar. Irgendwer mußte gestorben sein, denn umsonst fuhr Pickard nie mit dem langen, schwarzen Vehikel durch den Ort.
    Nun, Charlie kümmerte es einen Dreck, wen es erwischt hatte, solange es sich nicht gerade um den alten Willy oder Toni handelte. Ihn interessierten die anderen nicht, so wenig wie sich die anderen für ihn interessierten.
    Die Verandadielen knarrten unter dem sich vor- und zurückbewegenden Schaukelstuhl, das kleine Windrad hatte aufgehört sich zu drehen. Seine Zunge klebte am Gaumen, die Kehle war trocken wie Wüstensand, ein Zustand, den Charlie nie lange aufrechterhielt. Er war gerade achtundfünfzig oder neunundfünfzig, vielleicht aber auch erst sechsundfünfzig oder siebenundfünfzig, genau wußte nicht einmal er das, aber die Arbeit auf den Flachsfeldern und in der Fabrik, wo er seit seinem zwölften Lebensjahr hatte schuften müssen, hatte tiefe Spuren in seinem Gesicht und auf seinem Körper, aber auch auf seiner Seele hinterlassen.
    Charlie war selbst in betrunkenem Zustand ein mürrischer, wortkarger Mann, der außer Toni und Willy keine Freunde hatte. Über zehnmal war er von Kreuzottern gebissen worden, er selbst behauptete, inzwischen immun gegen das Gift zu sein, sein Rücken war krumm von der jahrzehntelangen Arbeit in gebückter Haltung und schmerzte seit vielen Jahren, und nur Schnaps vermochte die Schmerzen zu lindern. Eigentlich sah er aus wie siebzig, eine knochige, hohlwangige, unrasierte, ungepflegte Gestalt.
    Der gichtgeplagte Mann quälte sich aus dem Schaukelstuhl und schlurfte mit steifen Beinen zu Toni. Mitten auf dem Weg blieb er stehen, richtete seine Augen gen Himmel, warf einen Blick zurück auf sein Haus, das windschief, vernachlässigt und reparaturbedürftig etwas oberhalb der Straße stand. Er fuhr sich mit knöchernen Fingern über die festen grauen Bartstoppeln und stieß einen kurzen Seufzeraus.
Ich müßte was an dem Haus machen, verdammt! Sieht wirklich nicht gut aus.
Er dachte das nicht zum ersten Mal, aber in der Regel vergaß er seine Gedanken und Vorsätze, sobald das Haus außer Sichtweite war, und wenn er zurückkehrte, war er meist so besoffen, daß die baufällige Hütte ihm wie ein Palast erschien.
    Seine Gedanken wurden jäh unterbrochen, als ein Duft an ihm vorüberschwebte, der nur zu einem Menschen gehören konnte, und das war die junge Görtz, ein verteufelt hübsches Ding, lange, fast schwarze Haare, ein göttlicher, straffer Busen und ein Hintern, der in Charlie animalische Gelüste aufkommen ließ und seine alten Lenden in Wallung versetzte. Für Charlie war sie das mit Abstand hübscheste Wesen, das Waldstein zu bieten hatte. Und sie war arrogant. So verdammt arrogant, wie sonst niemand, den Charlie kannte. So arrogant, wie edle Flittchen, die davon leben, daß sie die Beine breit machen, eben sind oder zu sein sich erlauben können. Dennoch sah er ihr nach, wie sie mit schwingenden Hüften und tippelnden Schritten die Straße überquerte, bestimmt auf dem Weg, wieder einen geilen Schwanz zu beglücken und gleichzeitig ein wenig ärmer zu machen.
    »Hi, Charlie! Ausgeschlafen?« Willy drehte seinen Kopf in Charlies Richtung, sobald dieser die Schwelle zu Tonis Kneipe überschritt. Ein halbleeres Glas stand vor ihm, dessen Inhalt er bei Charlies Eintreten sofort in sich hineinschüttete.
    »’n Bier, und«, er sah kurz zu Willy, der Charlie erwartungsvoll anblickte, »eins für meinen alten Kumpel.«
    »Bist ’n wahrer Freund, Charlie«, nuschelte Willy.
    Toni legte die Zeitung, in der er bis eben gelesen hatte, beiseite, erhob sich müde, füllte die Gläser. Charlie trank in einem Zug leer,

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