Der Finger Gottes
eingeworfen, um ruhiger zu werden. Doch die Zeiger rückten in gnadenloser Gleichmäßigkeit voran, Brackmann schalt sich einen Narren, eine Konfrontation heraufbeschworen zu haben; wußte er doch und war gewarnt worden, daß der Ausgang des Dramas längst bestimmt war. Er mußte in einem Anfall von Größenwahn gehandelt haben! Er hatte blind und ungeschützt in eine Schlangengrube gegriffen, ohne zu wissen, ob und wie viele Giftschlangen sich darin befanden.
Hatte er vielleicht zu viele Kriminalfilme mit heldenhaften Kleinstadtbullen gesehen, die im Alleingang ganze Räuberhöhlen aushoben, ohne den geringsten Schaden davonzutragen? Oder war er einfach nur verrückt? Er war doch nichts als ein kleiner, unbedeutender Beamter, sein Leben hatte sich bislang in sehr gleichmäßigen Bahnen abgespielt. Er war nie reich gewesen, hatte nie mit den Mächtigen dieser Welt an einem Tisch gesessen, interessierte sich nicht weiter für Politik, lebte ein stilles, zurückgezogenes Leben in einer stillen kleinen Stadt.
Trotz der Tabletten schien sein Körper aus Blei zu bestehen. Er hatte einen Fehler begangen. Und fatalerweise gab es auch kein Zurück mehr. Er hätte auf Engler hören und die ganze Angelegenheit vergessen sollen.
Er holte eine Dose Bier aus dem Kühlschrank, riß mit nervösen Fingern den Verschluß auf, leerte die Dose in einem Zug. Er rülpste, wischte sich mit dem Handrücken über den Mund.
Um kurz vor acht startete er. Er hatte den ganzen Nachmittag gegrübelt, ob er jemanden einweihen sollte, die Kriminalpolizei in Hof, vielleicht sogar das LKA, doch er hattealle derartigen Überlegungen verworfen, man hätte ihn doch nur ausgelacht, wegen des Briefes einer seltsamen ältlichen Dame ein solches Aufhebens zu machen. Allein bei Nennung des Namens Vandenberg hätte man ihn für verrückt erklärt, diese Familie mit einem Mord in Verbindung zu bringen, ohne schlüssige Beweise vorlegen zu können.
Doch er hatte nun mal nichts in Händen außer dem Brief von Maria und der Aussage von Engler, auf den aber kein Verlaß war; Engler würde, davon war Brackmann überzeugt, einem Druck der Vandenbergs nicht standhalten. Natürlich gab es den Hinweis auf den Friedhof, auf dem Höllerich begraben sein sollte, aber selbst wenn man seine Leiche dort fände, was bedeutet hätte, unter Umständen den gesamten Friedhof umzupflügen, selbst wenn man feststellen sollte, daß er auf unnatürliche Weise zu Tode gekommen war, auch dann war den Vandenbergs noch nichts nachzuweisen, denn konkrete Beweise gab es nicht. Selbst die Aussage von Csilla, Höllerich sei ihr Verlobter gewesen, konnte durch ein ärztliches Attest, mit dem ihr verminderte Zurechnungsfähigkeit bescheinigt wurde, als pure Erfindung abgetan werden. All dies waren Gründe, weshalb er es unterlassen hatte, weitere, höhere Dienststellen einzuschalten.
Er war und blieb auf sich allein gestellt, die einzige Rückendeckung waren Sarah und Csilla, die er am Mittag kurz angerufen hatte, um von seinem Treffen mit Jonas Vandenberg zu berichten. Eine Rückendeckung wie ein riesiges Blatt Papier, das zwischen zwei Pfosten gespannt war und das schon von einem leichten Windstoß in tausend Schnipsel zerfetzt werden konnte.
Er fuhr bis vor das hellerleuchtete Haus. Derselbe Diener wie am Vormittag geleitete ihn mit derselben reglosen Miene stumm in dasselbe Zimmer.
Er wurde bereits erwartet. Jonas Vandenberg war nicht allein, mit im Zimmer standen und saßen seine Brüder Martin und Victor sowie eine alte Frau; Brackmann nahm an, daß es sich um die Hausherrin handelte.
»Guten Abend, Herr Brackmann«, sagte einer der Männer lächelnd und zeigte auf einen Sessel. »Nehmen Sie doch bitte Platz. Ich bin Martin Vandenberg. Meinen Bruder kennen Sie ja bereits, drüben am Fenster sitzt mein anderer Bruder Victor, und die Dame ist die Herrin des Hauses, unsere Mutter.«
Brackmann nickte nur und setzte sich wortlos. In seinen Handflächen hatte sich kalter Schweiß gebildet, sein Mund und seine Kehle waren trocken. Als spürte Martin Vandenberg seine innere Erregung, fragte er mit einladendem Lächeln: »Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten? Scotch, Bourbon, Bier oder etwas Alkoholfreies vielleicht?«
»Einen Scotch mit Eis bitte«, sagte Brackmann mit tonloser Stimme. Hatte er sich nicht vorgenommen, nicht einmal ein Getränk anzunehmen? Und jetzt trank er Whisky, der gejagte Hase, der nur noch sein jämmerliches Leben retten wollte. Haken schlagen, der ihn wild
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