Der Finger Gottes
die Art und Weise Ihres Vorgehens abwägen. Ich bin gerne bereit, Ihnen die Hintergründe des Falles darzulegen, vorausgesetzt, Sie wollen diese auch hören. Sie wollen doch, oder?«
»Deshalb bin ich hier.«
»Gut«, sagte Martin Vandenberg, drehte sich wieder um und leerte sein Glas. »Dann lassen Sie mich Ihnen eine Geschichte erzählen, eine Geschichte, die es Ihnen vielleicht etwas klarer macht, was es mit dieser Stadt, diesen Menschen und meiner Familie auf sich hat.« Er ging zurück zum Fenster, lehnte sich mit dem Rücken dagegen, kniff die Lippen aufeinander, sagte dann: »Dieser Höllerich war ein Stinktier. Ein junger Mann, der offensichtlich nie gelernt hatte, sich manierlich zu benehmen. Erst hat er sich an meine Nichte Csilla herangemacht, dann hat er zu allem Überfluß auch noch angefangen, sich als Superman aufzuspielen. Csilla war immer unser Sorgenkind, sie war nie bereit, sich an die Familienregeln zu halten. Als sie nach München ging und diesen Typen kennenlernte, geriet sie in schlechte Kreise. Drogen, Alkohol, Exzesse, Sie wissen, was in einer Großstadt wie München so alles abgeht, Sie kommen ja selbst aus solch einem – Sündenpfuhl. Die gute Csilla, sie war schon immer labil und dazu sehr impulsiv.« Er hielt inne, fuhr aber gleich fort: »Leider ist bei einem dieser – Exzesse – etwas Schlimmes passiert, Csilla wurde von einer Horde bekiffter und besoffener Typen vergewaltigt. Ob und inwieweit dieser Höllerich dabei seine Finger mit im Spiel hatte«, er zuckte mit den Schultern, »das entzieht sich unserer Kenntnis. Nun, um es kurz zu machen, als sie an einem Wochenende herkamen, sagte sie, sie und dieser Höllerich hätten beschlossen zu heiraten. Schluß, Punkt, Ende! Sie knallten es uns einfach vor dieFüße, ohne daß wir auch nur die geringste Ahnung gehabt hatten. Doch wir kannten Csilla und wußten, daß wir das unter gar keinen Umständen zulassen durften. Sie konnte gar nicht mehr klar denken, sie war nicht mehr sie selber. Wenn sie bei Sinnen gewesen wäre und Höllerich nicht so ein dubioser Typ, kein Problem. Wir mußten also handeln, entweder sie in ihr Unglück rennen lassen oder . . . Wir beschlossen also, sie erst einmal hier bei uns ärztlich betreuen zu lassen. Und Höllerich schickten wir nach Hause. Aber dieser Idiot führte sich auf wie ein Verrückter. Er würde nicht zulassen, daß man ihm seine Frau nähme, und er würde zurückkommen, notfalls mit der Polizei, und sie herausholen, na ja, Sie können sich vorstellen, was für Worte in dieser Situation gefallen sind. Wir mußten ihn rauswerfen, um des lieben Friedens willen. Doch der Verrückte gab nicht auf, wenige Tage später kehrte er unter fadenscheinigen Vorwänden zurück, nur diesmal bedrohte er uns mit einer Pistole. Er hätte uns wahrscheinlich alle abgeknallt, wenn . . . Nun, Herr Brackmann, auf einem Besitz wie diesem hält man sich natürlich Leibwächter. Einer von ihnen hat in Ausübung seiner Pflicht Alexander Höllerich erschossen. Das ist alles.«
Die Geschichte klang plausibel. Glatt, zurechtgelegt. Zu verdammt glatt. Trotz der zwei Scotch war es für Brackmann klar, daß etwas nicht stimmte, nur fehlte ihm die innere Ruhe, den Fehler zu finden.
»Und warum haben Sie nicht die Polizei benachrichtigt? Sie hätten sich den ganzen Ärger sparen können.«
»Brackmann, was denken Sie denn?!« Martin Vandenberg lachte. »Natürlich haben wir die Polizei informiert. Sie kam nur wenige Minuten später. Man hat uns geraten, kein Aufhebens zu machen. Ihr Vorgänger war ein fähiger Mann, ein Mann mit Durchblick und Weitblick. Haben Sie eigentlich eine Ahnung, Brackmann, was für Kreise einePublikmachung gezogen hätte?« Er machte eine ausholende Handbewegung und ein theatralisches Gesicht. »Die Vandenbergs erschießen einen jungen Mann! Die Presse hätte sich die Finger wundgeschrieben und versucht, alles nur erdenklich Schmutzige über uns an die Oberfläche zu befördern, und wenn es auch nichts als Lügen gewesen wären. Nein, nein, Brackmann, das wäre alles andere als gut für uns gewesen. Wir hatten und haben glücklicherweise unsere Leute, denen wir vertrauen können und die das in sie gesetzte Vertrauen auch stets gerechtfertigt haben. Und wie Sie sehen, hat dieses Aas Höllerich bis heute kein Mensch vermißt.«
»Und wer waren beziehungsweise sind diese Leute, denen Sie so vertrauen?«
»Brackmann, jeder Mensch hat . . . Freunde, mit denen man ein Geheimnis teilt. Sie haben so
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