Der Finger Gottes
hetzenden Meute entwischen, in ein Erdloch verschwinden und warten, bis die gierigen Bestien ihre Lust auf ihn verloren hatten. Ein Scotch würde seine Gedanken lockern, ihn klarer denken lassen, ein Scotch würde die Angst zügeln helfen.
Martin Vandenberg ging zur Bar, füllte vier Gläser mit Scotch und Eis. Nur die alte Frau, die Brackmann unentwegt aus eisgrauen Augen und reglos wie eine Mumie anstarrte, dabei aufrecht auf ihrem Stuhl saß und mit ihren alten, wie von Pergament überzogenen, knöchernen Händen den Stock umklammert hielt, sie trank nichts. Trotz der angenehmen Wärme im Zimmer hatte sie eine dunkelblaue Strickstola um ihre Schultern. Martin reichte erst Brackmann und Jonas, dann Victor das Glas. Während die andernsaßen, lehnte er sich an die Fensterbank, trank einen Schluck, behielt das Glas in der Hand und musterte Brackmann eingehend.
»Nun, Herr Brackmann, lassen Sie uns doch gleich in medias res gehen. Mein Bruder Jonas hat mir vorhin berichtet, daß Sie im Besitz eines Briefes und weiterer Informationen zu einem Alexander Höllerich sind, die uns als angebliche . . .« Er zog die Augenbrauen hoch, visierte Brackmann, fuhr fort: »Mörder? . . . des jungen Mannes beschuldigen. Würden Sie bitte der Klarheit halber Ihre vorgebrachten Anschuldigungen noch einmal darlegen, da wir ja anscheinend alle in diesem Haus darin verwickelt sein sollen?«
Brackmann trank sein Glas auf einen Zug leer. Auch er behielt es in der Hand, es gab ihm eine Spur von Sicherheit, er hätte sonst nicht gewußt, was er mit seinen Händen hätte tun sollen.
»Herr Vandenberg, wie Sie bereits wissen, steht in diesem Brief, daß Alexander Höllerich gewaltsam zu Tode gekommen sein soll. Außerdem behauptet Frau Olsen, daß Sie für seinen Tod verantwortlich sind. Und ich als Polizist bin verpflichtet, diese Anschuldigungen auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen. Was ich bereits heute vormittag versucht habe und hiermit noch einmal tue.«
»Frau Olsen hat also den Brief geschrieben.« Martin Vandenberg nickte und nahm einen Schluck. »Könnte es nicht sein, daß die alte, einsame Frau etwas – übertrieben hat?«
»Nun, äh, das glaube ich kaum, denn ihre Aussage deckt sich mit der einer anderen Person, deren Namen ich allerdings, wie ich bereits heute vormittag sagte, nicht nennen möchte. Außerdem, und auch das sagte ich bereits, soll Höllerich auf dem Friedhof von Waldstein begraben sein. Ich brauche das Grab nur öffnen und die Leiche exhumieren zu lassen, um den Beweis für die Behauptung anzutreten.«
Martin lächelte. Nicht böse, fast verzeihend, wäre da nicht dieser maliziöse Zug um seinen Mund gewesen. Brackmann wußte nicht, wie er dieses Lächeln deuten sollte. »Gut, Herr Brackmann, sparen wir uns dieses unnötige Brimborium. Außerdem glaube ich kaum, daß Sie den ganzen Friedhof umpflügen lassen würden, nur um eine sechs Jahre alte Leiche dort zu finden. Höllerich ist tot. Und was können Sie mit diesem Tod anfangen? Nichts, wenn Sie ehrlich sind. Wir waren nicht daran beteiligt. Und wenn ich Ihnen das sage, dann müssen Sie es glauben, denn einen Beweis für das Gegenteil haben Sie nicht. Kommen Sie, trinken Sie noch einen mit uns.« Martin Vandenberg holte die Flasche von der Bar, stellte sie auf den Tisch. »Bedienen Sie sich.«
Brackmann zündete sich eine Zigarette an, kippte etwas Scotch ins Glas, trank aus, der Alkohol entfaltete seine beruhigende Wirkung. »Ich weiß, daß ich Ihnen nichts nachweisen kann. Die Stadt ist fest in Ihrer Hand, die Menschen vertrauen auf Sie, Sie sind wie Götter in ihren Augen …«
»Brackmann, um Himmels willen, jetzt seien Sie doch nicht so dramatisch.«
». . . aber ich bin immer noch im Besitz des Briefes, ich habe zwei Frauen, die gegen Sie aussagen würden und eventuell sogar eine weitere Person.«
»Brackmann, nennen Sie mir nur einen Grund, weshalb Sie so aggressiv sind. Haben wir Ihnen irgend etwas getan? Schauen Sie«, Martin bewegte sich langsam auf Brackmann zu, blieb etwa einen Meter vor ihm stehen, eine imposante Erscheinung, großgewachsen, wie Jonas durchtrainiert – im Gegensatz zu dem etwas rundlichen Victor –, stechender Blick, doch er machte eine freundschaftliche Geste, die seine Perfidie übertünchen sollte, »wir wollen nichts Böses von Ihnen. Es ehrt Sie natürlich, wenn Sie Ihr Amt ernst nehmenund Verdächtigungen nachgehen, doch – und ich halte Sie für einen klugen und weltoffenen Mann – Sie sollten immer
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