Der Finger Gottes
Zeigefinger der rechten Hand über die Nasenspitze. »Sieht wirklich merkwürdig aus.«
Kapitel 8
Waldstein war also eine friedliche Stadt, nur selten gab es Anlaß zur Klage. Kaum einmal fiel einer unangenehm auf, mußte ein Betrunkener eine Nacht in einer Ausnüchterungszelle zubringen oder wegen eines anderen kleineren Delikts die Polizei eingeschaltet werden.
Doch es gab eine Ausnahme, einen üblen Zeitgenossen, einen, der des öfteren für Aufsehen sorgte, einen, den keiner so recht leiden konnte. Wer über ihn sprach, tat es in der Regel höchst abfällig und angewidert. Diesem Jemand gehörte die Tankstelle mit Reparaturwerkstatt, und da es die einzige Tankstelle und Werkstatt im Umkreis von zwölf Kilometern war, ließ beinahe jeder Einwohner von Waldstein, der ein Auto hatte, es auch dort reparieren.
Scherer war ein guter Mechaniker und ein miserabler Mensch. Am meisten hatte seine Frau unter seinen üblen Launen zu leiden. Stand das Essen nicht rechtzeitig auf dem Tisch oder konnte sie auch nur über einen ausgegebenen Pfennig keine Rechenschaft ablegen, schlug er sie; ganz offensichtlich fand er immer wieder einen neuen Grund, sie schlagen zu können. Er verprügelte sie und demütigte sie, weil es offensichtlich das einzige war, das ihm wirklich Freude bereitete. Sein eheliches Recht nahm er sich, wannes ihm beliebte und mit brutaler Gewalt, nicht selten war das Gesicht seiner Frau geschwollen von Schlägen, und manchmal sah man sie, wenn man sie überhaupt zu Gesicht bekam, mit einer dicken, schwarzen Sonnenbrille, die ihre blauen oder schwarzen oder in allen möglichen Farben schimmernden zerschlagenen Augen verdecken sollte.
Scherers Brutalität und Jähzorn waren allgemein bekannt, doch keiner wagte, etwas dagegen zu unternehmen. Dafür gab es zwei Gründe. Erstens war Scherer ein großer und außerordentlich muskulöser Mann, und zweitens, nun, da war eben die Werkstatt. Bis nach Hof war es ein weiter Weg, Grund genug, über die Leiden seiner noch jungen Frau hinwegzusehen, Entschuldigungen für Scherers Verhalten zu suchen, wie etwa
Die Frau wird schon selbst schuld sein
– und schließlich, die Scherers mußten selbst damit klarkommen. Und sie hätte ihn ja nicht zu heiraten brauchen, und sie könnte ja abhauen, und vielleicht gehörte sie ja zu jenen Weibern, die Prügel zum Leben brauchten, und, und, und . . .
Lediglich Engler hatte einmal versucht, ihr zu helfen und ihr angeboten, bei einem Freund in München unterzutauchen, der dringend eine Hausangestellte suchte. Die beiden Kinder wären auch kein Hindernis gewesen. Seither waren sechs Monate vergangen, sie lebte immer noch zu Hause und ertrug alle Demütigungen.
Auch Brackmann waren die Familienverhältnisse der Scherers nicht unbekannt, solange jedoch nichts Ernsthaftes passierte, wie schwere Körperverletzung oder sogar Tod, waren ihm die Hände gebunden. Dabei hätte es bestimmt schon ein dutzendmal gereicht, Scherer hinter Gitter zu bringen, hätte seine Frau nur den Mut aufgebracht, Anzeige zu erstatten, am besten unter Vorlage eines ärztlichen Attests, aus dem eindeutig hervorging, daß sie sowohl geschlagen als auch vergewaltigt worden war. Solange sieihn aber nicht anzeigte, so lange konnte Scherer ungehindert weiterprügeln.
Andererseits, und das wußten Brackmann und mit Sicherheit auch Scherer und seine Frau, bedeutete eine Anzeige noch längst kein Verfahren, erst recht keine Verurteilung, im Gegenteil, die Gesetze waren von Männern für Männer gemacht und boten Schlupflöcher, und letztendlich bedeutete eine Anzeige vielleicht nur noch schlimmere Qualen für die Frau.
Scherer betrat an diesem schwül-heißen Tag um kurz nach sechs Tonis Kneipe. Außer Charlie, Willy und Toni hielten sich noch drei etwa fünfzehn oder sechzehn Jahre alte Burschen dort auf, tranken Cola, unterhielten sich, lachten und hatten die Köpfe zusammengesteckt, als heckten sie etwas aus.
Scherer grüßte nicht, als er eintrat, er grüßte nie, es gab niemanden, an den er Höflichkeit verschwendete, zumindest keinen Menschen. Anders verhielt es sich mit seinen Hunden, die er abgöttisch liebte, mit denen er jede freie Minute verbrachte, sie trainierte, mit ihnen sprach, wie er mit keinem Menschen je sprechen würde – liebevoll und zärtlich. Seine Hunde, das waren zwei Pit Bulls, die er dann und wann bei Hundekämpfen einsetzte. Mehrmals im Jahr war er ein ganzes Wochenende unterwegs, und es kam vor, daß er ohne einen seiner Lieblinge
Weitere Kostenlose Bücher