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Der Finger Gottes

Der Finger Gottes

Titel: Der Finger Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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docheinfach im Rathaus nach. Schneider müßte die Unterlagen haben.«
    »Wissen Sie, warum er stillgelegt wurde?«
    »Genau kann ich mich nicht erinnern, aber soweit ich weiß, soll die Arbeit unrentabel geworden sein. Aber auch dazu kann Ihnen Schneider besser Auskunft geben.«
    »Also gut«, sagte Brackmann, nahm einen tiefen Zug an seiner Zigarette und wischte sich mit dem Unterarm den Schweiß von der Stirn, »kehren wir um.«
    Für die Rückfahrt wählten sie einen anderen Weg. Richter schaltete das Radio an. Rockmusik. Dazwischen Kurznachrichten, der neueste Wetterbericht. Nachts mußte vereinzelt mit Hitzegewittern gerechnet werden – Brackmann glaubte nicht daran –, morgen wieder mit der gleichen monotonen Hitze.
    Der Wind war während der vergangenen Stunde auf fast Null abgeflaut, kein Grashalm bewegte sich mehr. Sie erreichten die bis zum Horizont reichenden Getreide-, Rüben-, Kartoffel- und Flachsfelder, die Spinnerei, wo der gepflückte Flachs früher verarbeitet worden war. Früher, das war zuletzt vor mehr als zwanzig Jahren. Seither wurde der wenige Flachs, der noch angebaut wurde, auf Laster geladen und zu einer weit moderneren Fabrik für Flachsverarbeitung nach Bayreuth gebracht. Von den Wänden des langgezogenen, ehemals weißen Gebäudes, in dem die Spinnerei untergebracht war, bröckelte der Putz, die Scheiben der Oberfenster waren ausgeschlagen, das Dach voller Löcher. Einige alte, vor sich hin rostende Maschinen standen noch in der weiten Halle, an manchen Tagen Spielplatz für einige der Kinder aus der Umgebung.
    Wenn überhaupt irgendwo in dieser Gegend, dann war es hier, wo noch immer der schwere Duft der Vergangenheit in der Luft hing. Wenn die Mauern und Maschinen erzählen könnten . . . Arbeiter, Männer, Frauen und Kinder inverschwitzten grauen oder blauen Arbeitshosen, löchrig, geflickt, schmutzig, barfuß, denn wer von denen hatte sich vor hundert oder mehr Jahren schon Schuhe leisten können?
    Diese Zeiten waren jedoch längst vom Staub der Vergangenheit überdeckt, vieles hatte sich inzwischen gebessert, auf den meisten der Felder wuchs schon längst kein Flachs mehr.
    Richter fuhr Schrittempo, der Weg steckte voller Schlaglöcher. Nach wenigen hundert Metern mündete der Feldweg in die nach Hof führende, erst im vergangenen Jahr ausgebaute Straße. Sie bogen nach rechts ab, zurück in das friedliche, beschauliche Waldstein.

Kapitel 7
    Frau Schneider verteilte gerade die letzten Brotkrumen an die Tauben, als ihr Mann aus dem Rathaus kam. Bis auf zwei schmale graue Streifen über den Ohren war er glatzköpfig und leicht untersetzt und kaum größer als seine Frau. Ein gemütlicher, gutmütiger, stiller Mann, der seine Frau wie jeden Tag mit einem Kuß auf die Wange begrüßte. Wie immer wechselte er die Aktentasche von der rechten in die linke Hand, damit seine Frau sich rechts unterhaken konnte.
    »Wie war dein Tag heute?« stellte sie die seit Jahren obligatorische Frage, während sie im Gleichschritt nebeneinanderher liefen.
    »Ruhig, wie immer. Ich habe alte Unterlagen sortiert und abgelegt, so daß jeder sie finden kann, wenn ich einmal nicht mehr da bin. Und wie war es bei dir?«
    »Wie soll es gewesen sein? Ich habe auf dich gewartet.«
    »Ja, natürlich.«
    »Heute morgen, als ich die Wohnung aufräumte, dachteich, daß es schade ist, daß wir überhaupt keine Freunde haben. Es wäre schön, wenn wir welche hätten.«
    »Wie kommst du auf einmal darauf? Du weißt, es ist nicht einfach, Freunde zu finden. Schon gar nicht wirkliche Freunde.«
    »So meine ich das ja auch nicht. Was aber, wenn einer von uns beiden eines Tages nicht mehr . . .?«
    »Sprich nicht weiter, Liebes. An so etwas solltest du nicht einmal denken.«
    »Aber wir sind nicht mehr die Jüngsten. Du hörst nächstes Jahr auf zu arbeiten, und dein Herz ist auch nicht mehr das beste. Und ich sollte meine Galle auch mal wieder von Dr. Reuter untersuchen lassen, in letzter Zeit zwickt sie immer öfter.«
    »Ich verstehe dich ja. Trotzdem möchte ich nicht, daß du so redest. Wir sind noch nicht so alt und krank, daß wir uns über den Tod Gedanken zu machen bräuchten.«
    Ihr kleines Häuschen lag fünf Fußminuten vom Rathaus in einer Anreihung von Häusern, die sich wie ein Ei dem andern glichen. Nicht einmal in der Farbe der Zäune unterschieden sie sich, die Wege waren mit den gleichen Platten ausgelegt, in fast jedem Garten blühten die gleichen Blumen, auch wenn jetzt, durch die lange Hitze, die

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