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Der Finger Gottes

Der Finger Gottes

Titel: Der Finger Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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vorbeikam.
    Sie blieb stehen, drehte sich um, für den Bruchteil einer Sekunde huschte ein Lächeln über ihre jetzt ungeschminkten blassen Lippen.
    »Ja?«
    »Ich gehe in Ihre Richtung. Kann ich Sie ein Stück begleiten?«
    »Sicher, warum nicht.«
    Auf den ersten Metern schwiegen sie, schließlich beendete Brackmann das Schweigen. »Haben Sie schon das von Frau Olsen gehört?«
    »Ich habe es gerade eben erfahren. Traurig, nicht?«
    »Mir tut Dr. Reuter leid. Er hat sie sehr gemocht.«
    »Wer hat das nicht.«
    »Ich glaube, es liegt an diesem verdammten Wetter. Diese Schwüle und diese Hitze sind kaum noch auszuhalten.«
    »Einen hat die Schwüle wohl schon umgehauen.«
    »So? Wen denn?«
    »Scherer. Zumindest habe ich gesehen, wie sie ihn in das Auto von Dr. Reuter gehoben haben. Geschieht ihm recht! Er ist ein Schandfleck für die Stadt, aber auf der anderen Seite wahrscheinlich die einzige Attraktion hier! Mir tut nur seine arme Frau leid! Dabei ist sie noch so jung! Ich verstehe nicht, warum sie nicht abhaut. Verprügelt wird sie und betrogen noch dazu!« Nach den letzten Worten errötete sie, biß sich auf die Lippen, sah Brackmann entschuldigend an.
    »Bitte? Ich verstehe nicht . . .«
    »Vergessen Sie’s.« Sie ärgerte sich, ihre sonst so beherrschte Zunge nicht im Zaum gehalten zu haben.
    »In Waldstein?«
    »Bitte, vergessen Sie’s einfach. Ich wollte das nicht . . .«
    Brackmann ließ nicht locker. »Na ja, jeder hier weiß, was für ein mieser Kerl Scherer ist. Mir tut seine Frau auch leid. Was mir allerdings neu ist, ist, daß er auch mit anderen Frauen . . .? Ich meine, er betrügt sie wirklich hier in diesem Nest? Wer läßt sich denn mit dem ein?«
    Sie lachte kurz, trocken und spöttisch auf, schüttelte ungläubig den Kopf. »Sie wissen es nicht? Sie, der nach dem Pfarrer bestinformierte Mann in diesem Kaff, wissen nicht, was Scherer so alles treibt?«
    Brackmann blieb stehen. »Um ehrlich zu sein, ich habe keine Ahnung. Aber vielleicht erzählen Sie’s mir ja.«
    »Ich weiß nicht so recht«, sagte sie zögernd, blieb etwa einen Meter von Brackmann entfernt stehen, sah zu Boden und fuhr so leise fort, daß nur Brackmann es hören konnte: »Sie müssen mir glauben, es ist nicht meine Art, zu tratschen oder über andere herzuziehen, aber gut, wenn Sie darauf bestehen, na ja, und es geht schließlich ›nur‹ um Scherer.«
    Brackmann setzte sich wieder in Bewegung. Angela folgte ihm, lief neben ihm her und bat ihn eindringlich: »Nur bitte, behalten Sie das um Himmels willen für sich. Wenn Scherer jemals rauskriegen sollte, daß ich was gesagt habe, zerreißt er mich mit seinen schmierigen Fingern in lauter kleine Teile.«
    »Keine Angst, Sie können sich auf mich verlassen. Ehrenwort.«
    Ein herrenloser Hund pinkelte an eine Straßenlaterne, schnüffelte daran, verschwand hinter einem Haus. Zwei junge Männer fuhren auf ihren knatternden Motorrädern vorbei. Charlie und Willy kamen vom Doktor zurück, betraten Tonis Kneipe.
    »Also, was ist los mit Scherer?«
    Angela Siebeck holte tief Luft. »Scherer! Dieser Kerl ist ein Kapitel für sich. Wissen Sie, er ist längst nicht der Ausgestoßene, als der er immer hingestellt wird. Und es stimmt überhaupt nicht, daß niemand etwas mit ihm zu tun haben will. Im Gegenteil, so mancher hier reißt sich darum, etwas mit ihm zu tun haben zu dürfen.« Sie machte eine Pause, gab Brackmann Gelegenheit zum Nachdenken.
    »Ich verstehe noch immer nicht . . .«
    »Oh, das ist ganz einfach. Sie wissen doch, wie über Scherer so hergezogen wird. Keiner läßt ein gutes Haar an ihm, vor allem die Weiber nicht! Ich könnte Ihnen aber mindestens ein Dutzendvon denen aufzählen, die schon mit ihm geschlafen haben, und das bestimmt nicht unfreiwillig. Es heißt, er soll ein Tier sein oder, besser ausgedrückt, ein Hengst, im wahrsten Sinne des Wortes, wenn Sie verstehen, was ich meine. Es heißt, diese Damen wünschen sich für ihre – Befriedigung – ein Tier. Für ihn scheint dabei das Alter absolut keine Rolle zu spielen. Hauptsache eben, es ist eine Frau, und sie möchte es mit ihm treiben. Wenn ich Namen nennen würde, du meine Güte«, sie lachte auf, »Sie kennen sie alle.«
    »Und wer?«
    »Nein, nein, keine Namen. Es reicht schon, was ich gesagt habe.«
    »Ach, kommen Sie, ich habe Ihnen mein Wort gegeben, und ich stehe dazu. Befriedigen Sie meine Neugier, nur ein wenig …«
    »Ich weiß, ich weiß, die Langeweile, die Einöde, diese elende Eintönigkeit.

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